Der evangelische Rundfunkbeauftragte beim WDR

05.10.13; Christiane Birgden

Über den Tisch gezogen

Neulich bin ich vermutlich über den Tisch gezogen worden. Als ich gerade los will, schellt es an der Tür.

Sie müssen keine Angst haben, nur weil ich dunkle Haare habe, ich tu ihnen nichts, ich bin auch nur ein Mensch.“ Eine schöne ältere Frau, „Balkan“ denke ich und hab gleich die Assoziation: „Die klaut“.

Ob ich schon mal arm war, fragt sie mich. Wahrheitsgemäß antworte ich „nein“ – und schäm‘ mich fast ein bisschen dabei, denn sie ist offensichtlich arm. „Ich wünsche Ihnen, dass Sie niemals arm sind“, sagt sie. Und dann kommt die ganze Geschichte von behinderter Tochter, dem Mann, der vor 8 Jahren gestorben ist, die abgelaufene Aufenthaltsgenehmigung.

Da ich in Eile bin, will ich sie mit einer Spende abspeisen, aber schon ist sie in der Wohnung und breitet ihre Ware vor mir aus. Nein, geschenkt haben will sie nichts, das ist gegen die Ehre. Tatsächlich sind die Decken aufwendig gemacht - gehäkelt, geklöppelt, gewoben – aber ich hab den Schrank voll von diesen Dingen von meiner Oma und wir benutzen sie nie! […]

Dennoch: Als sie rausgeht, bin ich um eine Häkeldecke reicher und um einige Euro ärmer. Eigentlich waren das die üblichen Verkaufstricks und ich grinse über mich selbst, dass ich darauf reingefallen bin. Ob nun über den Tisch gezogen oder nicht, AUF dem Tisch liegt jetzt eine Häkeldecke, die so gar nicht in unsere Wohnung passt und die mich daran erinnert, dass einige Menschen unter ganz anderen Umständen leben als wir.

Sprecher: Daniel Schneider

 

Audiobeitrag Über den Tisch gezogen


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