Der evangelische Rundfunkbeauftragte beim WDR

09.03.12; Pfarrer Michael Nitzke

Um die Wurst

Es ging um die Wurst, und zwar genau heute vor 490 Jahren, am 9. März 1522.Damals trafen sich in Zürich Leute im Hause des Buchdruckers Christoph Froschauer.

Das Treffen ging in die Geschichte ein, weil hier zwei Würste kleingeschnitten wurden, die die Anwesenden probieren konnten. Das war keine Werbeveranstaltung der Fleischerinnung sondern eine handfeste Demonstration. Denn es war Fastenzeit, und das Essen von Wurst war in dieser Zeit verboten. Die Kirche bestimmte in dieser Zeit das öffentliche Leben und nur zaghaft wagten Menschen, sich gegen ihre Vorschriften aufzulehnen.

Mit dabei bei diesem öffentlichen Wurstessen war der Prediger Ulrich Zwingli. Er soll sich zwar kein Stück Wurst genommen haben, aber zwei Wochen später hat er darüber in seiner Kirche gesprochen. Ähnlich wie Martin Luther in Wittenberg war Ulrich Zwingli in Zürich fasziniert von der Bibel und wollte nur das predigen, was er in ihr lesen konnte. In der Bibel fand er nichts davon, dass Menschen kein Fleisch essen dürfen, um sich auf das Fest der Auferstehung von Jesus vorzubereiten.

Das Wurstessen in Zürich war eines der Startsignale, die schließlich die Welt verändert haben. Bald gab es eine große Gruppe von Christen, die sich später „evangelisch“ nannte. Und manche meinten dann, man könne die Christen daran unterscheiden, wie sie es denn mit der Wurst vor Ostern halten. Die Katholischen fasten und die Evangeli-schen greifen zu.

So ist es auch lange Zeit gewesen, aber sicher auch deshalb, weil man wichtige Teile der Predigt von Ulrich Zwingli schnell wieder vergessen hat. Der hatte nämlich aus-drücklich gesagt, dass er nichts dagegen hat, wenn man freiwillig fastet, um seinen Körper gesund zu halten. Zwingli sprach von der Kanzel: „Kurz und einfach gesagt: Willst du gerne fasten, dann tue es! Willst du dabei auf Fleisch verzichten, dann iss auch kein Fleisch! Lass aber dabei dem Christen die freie Wahl!“

Bis die Evangelischen wieder gemeinsam zum freiwilligen Fasten kamen, hat es lange gedauert. Und zu Anfang waren sie eine ähnlich kleine Gruppe wie die Wurstesser in Zürich. Der Weg wurde allerdings umgekehrt beschritten. In einer Kneipe in Hamburg trafen sich Journalisten und Pastoren nach Feierabend und stellten bald fest, dass die Flaschen immer leerer und die Aschenbecher immer voller wurden. Bis einer sagte: „Ich hör vor Ostern auf. Macht ihr mit - sieben Wochen ohne?" Einer aus der Runde brachte die Idee in die Kirchenzeitung und schließlich beteiligten sich ganze siebzig Leute. Das war 1983.

Heute ist daraus die Fastenaktion der Evangelischen Kirche geworden und weit über zehn Millionen Menschen sind dabei. „Sieben Wochen ohne“ ist freiwillig, und dieses evangelische Fasten muss gar nichts mit Essen zu tun haben. Oft ist es eher eine An-gelegenheit für den Kopf. Das Motto der diesjährigen Aktion heißt: „Sieben Wochen ohne falschen Ehrgeiz“. Wem das allerdings zu sehr ans Eingemachte geht, hat natürlich auch die Freiheit, auf Alkohol, Zigaretten oder auf die Wurst zu verzichten.

Audiobeitrag Um die Wurst


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