Der evangelische Rundfunkbeauftragte beim WDR

05.11.11; Pfarrer Eugen Eckert

Sonne der Gerechtigkeit (eg 263)

Instrumentalmusik – Gitarre – „Here comes the sun/ Sonne der Gerechtigkeit“ - Autor: Erinnern Sie sich auch an solche Sonnenaufgänge?

Sie sind im Urlaub, irgendwo am Meer. Aus irgendeinem Grund sind Sie früh aufgewacht. Draußen ist es noch stockdunkel. Aber weil Sie Lust haben auf den Sonnenaufgang am Strand, entscheiden Sie sich aufzustehen.

Sie eilen durch die Dünen. Als der Tag anbricht, während die ersten Strahlen fingern, kommen Sie an.  Der Horizont wird hell, dann rot. Und wie ein Feuerball erhebt sich die Sonne aus dem Wasser. Die Dünen und den Strand taucht sie in goldgelbes Licht. Silbern gekräuselt tanzen feine Wellen vor den Augen. Und es wird spürbar wärmer.

Musik1: „Here comes the sun“ 

Autor: Dass die Sonne aufgeht und ein neuer Tag anbricht, entspricht zwar unserer täglichen Erfahrung. Doch Nacht und Tag können auch eine symbolische Bedeutung haben. Dann steht die Nacht für dunkle und schmerzliche Erfahrung. Und der Tag für die Befreiung daraus. Davon handelt der Choral: „Sonne der Gerechtigkeit“. In einer Predigt vom Himmelfahrtstag 1990 heißt es:

Sprecherin: „Als sich im vergangenen Herbst viele tausend Menschen in den Kirchen der DDR zu Friedensgebeten versammelten, da ist wohl kein Lied aus unserem Gesangbuch so oft angestimmt worden wie dieses. …Wir brauchen nur die Verse durchzugehen. Da finden wir viele Wendungen, die beleuchten, was die Menschen in der DDR dachten, fühlten, erwarteten: Sie wollten endlich die ‚Sonne der Gerechtigkeit’ aufgehen sehen gegen Ungerechtigkeiten, Verdächtigungen, Spitzeleien. Die Zertrennung der Welt in überholte Machtblöcke solle endlich überwunden werden. Die Türen der Völker sollten sich öffnen. Licht wollten sie sehen in dunkler Nacht – und überall hatten sie dafür Kerzen aufgestellt“. 

Musik2– Chor und Orchester

Choral Str. 1: Sonne der Gerechtigkeit, gehe auf zu unsrer Zeit; brich in deiner Kirche an, dass die Welt es sehen kann. Erbarm dich, Herr.

Choral Str. 2: Weck die tote Christenheit aus dem Schlaf der Sicherheit; mache deinen Ruhm bekannt, über-all im ganzen Land. Erbarm dich, Herr.

Choral Str. 3: Schaue die Zertrennung an, der kein Mensch sonst wehren kann; sammle, großer Menschen-hirt, alles, was sich hat verirrt. Erbarm dich, Herr.

Autor: Faszinierend die Entstehungsgeschichte dieses Liedes, das mit seinen insgesamt sieben Strophen scheinbar wie aus einem Guss daherkommt. Ein Blick in die Quellenangabe aber zeigt: es waren drei Dichter am Werk und ein Redakteur. Und die vier Männer trennen drei Jahrhunderte.

Die erste und sechste Strophe des Liedes stammen von Christian David. Der ursprünglich katholische Dichter, erst Zimmermann, dann Soldat, wurde 1714 von der Glaubenskraft der Pietisten so berührt, dass er in die evangelische Kirche übertrat. Der Bitte der Grafen von Zinsendorf folgend, verhalf er 1722 mährischen Exilanten zur Flucht vor der Gegenreformation nach Sachsen. Dort wurde er Mitbegründer der Brüdergemeinde von Herrnhuth.

Sprecherin: Der ehemalige Berufssoldat wird zum Pazifisten und Menschenfreund. Ihm entgeht das Leid der Menschen nicht, die gezwungen werden, ihre Heimat zu verlassen und Asyl zu suchen. Christian David führt sie in ein neues Land und hilft ihnen dabei, sich neu einzurichten.

Musik3:  Strophe 1:  Sonne der Gerechtigkeit, gehe auf zu unsrer Zeit; brich in deiner Kirche an, dass die Welt es sehen kann. Erbarm dich, Herr.
 
Sprecherin: Dem schwäbischen Pfarrer Christian Gottlob Barth verdanken wir die Strophen 2, 4 und 5. Für Barth, rund einhundert Jahre jünger als Christian David, verband sich mit der Französischen Revolution der Zusammenbruch aller Werte. In seinen Augen reagierte die Christenheit auf den Beginn des säkularen Zeitalters, der mit der Enteignung des Kirchenbesitzes einhergegangen war, nur müde und viel zu resigniert.

Autor: Barth wollte wachrütteln. 1838 gab er sein Pfarramt auf und gründete den bis heute mit theologischer Literatur aktiven Calwer Verlag. In vielen seiner Schriften, die hunderttausendfache Verbreitung fanden, findet sich die Hoffnung wieder: dass sich die scheinbar tote Christenheit endlich aus ihrem Sicherheitsschlaf wachrütteln lässt, um einer haltlos taumelnden Welt neu zu sicherem Grund zu verhelfen.

Musik3:  Strophe 2 Weck die tote Christenheit aus dem Schlaf der Sicherheit; mache deinen Ruhm bekannt, überall im ganzen Land. Erbarm dich, Herr.

Autor: Von Johann Christian Nehring schließlich, 1671 geboren und damit der Ältesten der drei Dichter, stammen die Strophen 3 und 7. Als Pfarrer betreute er ein Waisenhaus in Halle, in dem abgeschobene, ausgesetzte und fallen gelassene Kinder ein neues Zuhause fanden. Oft überfordert von den Tränen und Aggressionen der elternlosen Kinder, schrieb Nehring: „Schaue die Zertrennung an, der kein Mensch sonst wehren kann…“

Sprecherin: Otto Riethmüller war es, der das Lied „Sonne der Gerechtigkeit“ in den Gesangbüchern der Böhmischen Brüder wiederentdeckte und in die uns vorliegende Form goss. 1932 veröffentlichte er sein Jugendliederbuch „Ein neues Lied“. Als Direktor einer der Zentralen der evangelischen Jugendarbeit, dem Burckhardthaus in Berlin-Dahlem, sah er in schwerer Zeit als Hauptziel seiner Arbeit: „Die evangelische Jugend gegen den Sog und die Lockung der nationalsozialistischen Bewegung immun zu machen“ .

Autor: Dabei setzte er besonders auf Bibelarbeiten und Lieder. Doch bereits wenige Tage nach der Reichspogromnacht, am 19. November 1938 starb Otto Riethmüller, erschöpft von der ständigen Überwachung seiner Arbeit durch die Gestapo, krank und maßlos enttäuscht darüber, dass es ihm nicht gelungen war, die ihm anvertraute Jugend vor der Vereinnahmung, der Gleichschaltung mit der Hitlerjugend, zu bewahren.

Musik4

Autor: Otto Riethmüllers Verdienst aber bleibt es, das Unangepasste, das widerständig Subversive dieses durch Jahrhunderte gewachsenen Liedes, der Christenheit zurück in die Gesangbücher gebracht zu haben. Denn wo immer wir in und außerhalb unserer Kirchen von der „Sonne der Gerechtigkeit“ singen, reihen wir uns ein in den Chor derer, die sich nicht abfinden mit dem Dunkel der Ungerechtigkeit auf dieser Erde und die darauf setzen, dass Gottes Gerechtigkeit im Hier und Jetzt über uns aufgehen wird, strahlend schön, so wie Sonne eines neuen Tages

Musikinformationen:

Musik 1
CD-Name:  Du meine Seele singe – Choräle auf sechs Saiten 
Textdichter: C David
Melodie: 1566 böhmische Brüder
Bearbeitung: R. Börner
Gitarre: Reinhard Börner

Musik2
CD-Name:  Die schönsten Choräle
Chor:  Wetzlarer Evangeliumschor Wilfried Mann
Leitung: Margret Birkenfeld 

Musik3
CD-Name:  Dem Herren will ich singen
Komponist: Böhmische Brüder
Textdichter: Christian David (Str. 1+4) Christian Gottlob Barth (Str. 2+3)
Chor:  Knabenkantorei Wuppertaler Kurrende
Leitung: Heinz Rudolf Meier

Musik4
CD-Name: Touch the spirit
Komponist: Böhmische Brüder
Bearbeitung: Hans-Jörg Riedel
Ensemble: Trio Three Times (Kontrabass und drums)

Verwendetes Zitat:
Johannes Lähnemann, Liedpredigten, Nürnberg 1996, S. 68


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