Der evangelische Rundfunkbeauftragte beim WDR

26.09.09, Pfarrer Ulrich Haag

„Solang es Menschen gibt auf Erden“ (eg 427)

Choral (Strophe 1): Solang es Menschen gibt auf Erden, / solang die Erde Früchte trägt,solang bist du uns allen Vater, / wir danken dir für das, was lebt. Autor:

Autor: „Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“ (Gen 8,22) Diese Verheißung beschließt eines der dunklen Kapitel der Bibel, die Sintflutgeschichte. Als Noah und alle, die sich in die Arche retten konnten, sicher an Land gebracht waren, schließt Gott mit ihm und seinen Nachkommen einen Bund. Das Zeichen dieses Bundes ist der Regenbogen. Wer ihn anschaut, darf sich daran erinnern: Solang es Menschen gibt auf Erden, solang die Erde Früchte trägt, solang will Gott uns allen Vater sein.

Choral: (Strophen 1, 2):
1. Solang es Menschen gibt auf Erden, / solang die Erde Früchte trägt,
solang bist du uns allen Vater, / wir danken dir für das, was lebt.
2. Solang die Menschen Worte sprechen, / solang dein Wort zum Frieden ruft,
solang hast du uns nicht verlassen. / In Jesu Namen danken wir.

Sprecherin: Solang die Menschen Worte sprechen, solang dein Wort zum Frieden ruft, solang hast du uns nicht verlassen. In Jesu Namen danken wir.

Autor: Was sich für die Menschen damals anhören musste wie eine unbegrenzte, auf ewig gültige Zusage, klingt heute, in unseren Ohren anders. Die Menschheitsgeschichte misst sich in hunderttausenden von Jahren. Die Erdgeschichte in Jahrmilliarden. Und doch wissen wir: Diese Zeit ist einmal erschöpft. „Solang es Menschen gibt auf Erden.“ Wer sich diese Verheißung heute vergegenwärtigt, wer dieses Lied anstimmt, stellt sich der Erkenntnis, dass alles Leben auf unserem Planeten begrenzt ist. Was danach kommt? Wir können es nicht ermessen, nicht erdenken. Es ist unserer Sorge entzogen.

Choral (Strophen 1-3)
1. Solang es Menschen gibt auf Erden, / solang die Erde Früchte trägt,
solang bist du uns allen Vater, / wir danken dir für das, was lebt.
2. Solang die Menschen Worte sprechen, / solang dein Wort zum Frieden ruft,
solang hast du uns nicht verlassen. / In Jesu Namen danken wir.
3. Du nährst die Vögel in den Bäumen, / Du schmückst die Blumen auf dem Feld;
du machst ein Ende meinen Sorgen, / hast alle Tage schon bedacht.

Autor: Wenn man versucht, das Lied auswendig zu lernen, hat man es nicht leicht. Anders als in den klassischen Kirchenliedern reimt sich hier kein Zeilenende auf das andere. In der Originalfassung ist das anders. Ursprünglich ist das Lied auf Niederländisch geschrieben worden. Der Jesuitenpater Huub Oosterhuis hat es gedichtet. Damals, im Jahr 1960, war er Studentenpfarrer in Amsterdam. Er hat für das Lied in seiner Sprache wunderschöne Reime gefunden.

Sprecherin: Gij voedt de vogels in de bomen, / Gij kleedt de bloemen op het veld,
o Heer, Gij zijt mijn onderkomen / en al mijn dagen zijn geteld.

Autor: Die Übertragung ins Deutsche verzichtet auf jeglichen Reim - selbst dort, wo es sich angeboten hätte, einen Reim aus dem Original zu übernehmen. Übersetzt hat es der evangelische Pfarrer Dieter Trautwein. Damals, in den 60er Jahren, war er Stadtjugendpfarrer in Frankfurt, einer Hochburg der Studentenbewegung, die jede vorgegebene Ordnung in Frage stellte. Das zeigte sich auch in der Sprache. Der Reim, das klassische Gedicht galt vielen als einengende Form. Menschen sollten frei miteinander sprechen, direkt, ohne anspruchsvolle formale Raster, die ohnehin nur eine besonders gebildete Schicht zu erlernen vermochte. Tatsächlich sind in dieser Ungebundenheit viele bewegende Gedichte entstanden. „Solang es Menschen gibt auf Erden“ ist eines davon, ein Erntedankgedicht.

Sprecherin: Du nährst die Vögel in den Bäumen, Du schmückst die Blumen auf dem Feld; du machst ein Ende meinen Sorgen, hast alle Tage schon bedacht.

Choral (Strophe 3): Du nährst die Vögel in den Bäumen, / Du schmückst die Blumen auf dem Feld; / du machst ein Ende meinen Sorgen, / hast alle Tage schon bedacht.

Autor: Neben dem fehlenden Reim läuft auch die Melodie quer zu allen klassischen Erwartungen an ein Kirchenlied. Dass sie nicht so leicht zu lernen ist, wie sie klingt, habe ich auf einem Chornachmittag feststellen müssen. Unser Kirchenmusiker hat damals mit uns einige bis dahin unbekannte Lieder aus dem evangelischen Gesangbuch einstudiert. Es hat manche Mühe gebraucht, uns auf den richtigen Rhythmus zu trimmen. Irgendwann bemerkte einer aus der Runde: Das hört sich an wie ein Tango. Ein Ehepaar, ebenso begeisterte Tänzer wie Chorsänger, probierte es aus. Tatsächlich! Auf die Melodie ließ sich Tango tanzen! Dass das eine oder andere Kirchenlied im Walzertakt daher kommt, hatten wir schon festgestellt. Doch nun ein Tango im Gesangbuch! Tango heißt übersetzt „Tanz der intimen Berührung!“ Wie anrüchig! Und wie wunderbar zugleich: Ein Kirchenlied mit erotischen Anklängen, mit Anklängen an das eigene Lebensgefühl, die eigene Sehnsucht.

Sprecherin: Du bist das Licht schenkst uns das Leben; Du holst die Welt aus ihrem Tod, gibst deinen Sohn in unsre Hände. Er ist das Brot, das uns vereint.

Choral (Strophe 4): Du bist das Licht schenkst uns das Leben; / Du holst die Welt aus ihrem Tod, / gibst deinen Sohn in unsre Hände. / Er ist das Brot, das uns vereint.

Autor: Die Komponistin des Liedes heißt Tera de Marez Oyens. Sie war ebenfalls Niederländerin und bekannt für ihre mutigen und unkonventionellen musikalischen Einfälle. Vielleicht hat ihr an dem Lied gefallen, was auch mir gefällt: Dass es die Menschen, die es singen, untereinander verbindet. Sie auch mit denen verbindet, die es nicht anstimmen.

Kein Mensch ist auf sich allein gestellt unter dem unendlich sich weitenden Firmament. Jeder ist mit jemand anderem verbunden. Es ist die gleiche Luft, die wir atmen. Der gleiche Himmel, den wir über uns erblicken. Es ist das gleiche Brot, von dem wir essen. Es ist der gleiche Mensch, dem wir uns verbunden fühlen. Jesus, der sich mit uns verbindet und uns vereint.

Choral (Strophe 4): Du bist das Licht schenkst uns das Leben; / Du holst die Welt aus ihrem Tod, / gibst deinen Sohn in unsre Hände. / Er ist das Brot, das uns vereint.

Autor: Und noch etwas verbindet alle Menschen miteinander: Das Bedürfnis, zu jemandem zu sprechen. Jemandem zu danken, der größer ist, mehr ist als wir. Dem wir uns verdanken. Wir können gar nicht anders, als uns auf ihn hin auszurichten. Manches gibt es zu sagen über Gott, den Menschen, die Welt. Entscheidend ist, was wir zu Gott zu sagen vermögen. Nicht im Nachsprechen der richtigen Glaubenssätze findet der Mensch seinen Trost. Sondern im Gespräch mit ihm, den wir Vater nennen, Vater Jesu Christi und Vater aller Menschen.

Choral (Strophe 5): Darum muß jeder zu dir rufen, / den deine Liebe leben läßt:
Du, Vater, bist in unsrer Mitte, / machst deinem Wesen uns verwandt.

Sprecherin: Darum muss jeder zu dir rufen, den deine Liebe leben lässt: Du, Vater, bist in unsrer Mitte, machst deinem Wesen uns verwandt.

Autor: Das Lied nimmt ernst, dass wir bei den Menschen unserer Zeit nicht mehr ohne weiteres voraussetzen können, dass sie an Gott glauben – so als greife Gott machtvoll in unsere Welt ein. Zugleich hält das Lied unbeirrbar an dem Wissen fest, dass Gott als Gegenüber wächst, wenn ich mich an ihn wende, das Gespräch mit ihm suche und beginne. Tue ich das, wird er für mich an Gestalt gewinnen. Er wird in meinem Leben eine zunehmend größere Rolle spielen, wird es verändern und mich durch alle Veränderungen hindurch tragen. Uns alle tragen - solang es Menschen gibt auf Erden.

Choral (Strophen 1/5):
1. Solang es Menschen gibt auf Erden, / solang die Erde Früchte trägt,
solang bist du uns allen Vater, / wir danken dir für das, was lebt.
5. Darum muß jeder zu dir rufen, / den deine Liebe leben läßt:
Du, Vater, bist in unsrer Mitte, / machst deinem Wesen uns verwandt.

Musikinformation: Es sang Chorus Kantate Domino unter der Leitung von Markus Karas.


 

Audiobeitrag „Solang es Menschen gibt auf Erden“ (eg 427)


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