Der evangelische Rundfunkbeauftragte beim WDR

05.07.08, Pastor Christoph Neumann

"Freunde, dass der Mandelzweig" (eg 651)

Freunde, dass der Mandelzweig wieder blüht und treibt, ist das nicht ein Fingerzeig, dass die Liebe bleibt?

Tausende zerstampft der Krieg,  (Chorlieder, Musik 2, 3. Strophe)
eine Welt vergeht.
Doch des Lebens Blütensieg
leicht im Winde weht.   

Die Wurzel dieses Liedes liegt tief in der Geschichte des alten Israel. Damals war Krieg im Land. Jerusalem und das umliegende kleine Land Judäa waren von der Übermacht eines babylonischen Heeres bedroht, das alles zerstampfte, was sich ihnen entgegenstellte. Mitten in diese aussichtslose Lage schrecklicher Umwälzungen wird einem Propheten ein Mandelzweig im Frühling zum Zeichen. In den Blüten der Mandel vernimmt der Prophet die Stimme Gottes. Die Stimme des Schöpfers, der Jahr für Jahr die Natur in ihrem Wandel begleitet. Der nach jedem kalten Winter mit erstarrten Böden und Bäumen es immer wieder Frühling werden lässt. Zeit für neues  blühendes Leben, das Früchte tragen wird.

Der Mandelzweig wird zu einem Zeichen der Treue Gottes, der das Leben will. Gottes Treue bleibt. Trotz blutiger Geschichten und trüber Tage. Trotz eines mit Blut getränkten Bodens, der nach Leben schreit. Diese Botschaft soll der Prophet weitergeben:

Dass das Leben nicht verging,  (Chorlieder, Musik 2, 2.Strophe)
soviel Blut auch schreit,
achtet dieses nicht gering
in der trübsten Zeit.  

1942. Es ist Frühling in Jerusalem. Ein Mann sitzt in seinem Arbeitszimmer und schaut aus dem Fenster. Schalom Ben-Chorin heißt er. Er ist Jude und er ist Deutscher. In Deutschland hieß er Friedrich Rosenthal. 1935, gerade noch rechtzeitig, konnte er aus Nazi-Deutschland fliehen. In das Land seiner Sehnsucht, nach Israel-Palästina. Die Schreckensmeldungen häufen sich: Überall ist Krieg. Überall Elend. Und Vernichtung seines Volkes. Im Januar 1942 war in Berlin die so genannte Endlösung beschlossen worden. Im März gab es die ersten Transporte in die Vernichtungslager. In Auschwitz gehen hunderte blühender Menschen unter blühenden Obstbäumen in die Gaskammern, in den Tod.  Scha-lom Ben-Chorin sitzt da in Jerusalem. Von Entsetzen gelähmt und traurig. Hilflos und untätig. Er schaut aus dem Fenster. Und sein Blick fällt auf einen Mandelbaum vor dem Haus. Alles andere ringsum ist noch kahl und abgestorben. Nur dieser Mandelbaum beginnt schon zu blühen, zart weiß-rosa.

Ben-Chorin kennt die Schriften. Die Thora und die Propheten. Und der Mandelzweig erinnert ihn an den Propheten Jeremia. An das alte Zeichen der Hoffnung, das Gott dem Propheten gab. Schalom Ben Chorin greift zum Stift und schreibt. Ein Gedicht. Mitten im Weltkrieg. Ein Protest gegen den allgegenwärtigen, anscheinend übermächtigen Tod. Ein Hoffnungsgedicht – gegen allen Augenschein. Ein Überlebenszeichen für seine Freunde, mit denen er sich verbunden weiß. Seine jüdischen Brüder und Schwestern. Und die vielen Freunde, die unter einer schrecklichen  Herrschaft leiden. Ihnen möchte er Hoffnung machen. Sie daran erinnern, dass die Liebe stärker ist als der Tod. Dass die Liebe bleibt. So entsteht ein Frühlingsgedicht

Sprecher: Freunde, dass der Mandelzweig
wieder blüht und treibt,
ist das nicht ein Fingerzeig,
dass die Liebe bleibt?
Dass das Leben nicht verging,
soviel Blut auch schreit,
achtet dieses nicht gering
in der trübsten Zeit.
Tausende zerstampft der Krieg,
eine Welt vergeht.
Doch des Lebens Blütensieg
leicht im Winde weht.
Freunde, dass der Mandelzweig
sich in Blüten wiegt,
bleibe uns ein Fingerzeig,
wie das Leben siegt.

Deutschland  1981. Es herrscht Frieden. Allerdings ein sehr unsicherer Friede. Die Welt erlebt ein nie gekanntes atomares Wettrüsten zwischen West und Ost. Die Nato auf der einen Seite und die Sowjetunion auf der anderen entwickeln immer wieder neue und schrecklichere Waffen zur gegenseitigen Abschreckung. Das grausame Szenario eines atomaren Weltkrieges bildet sich wie ein kollektiver Alptraum. Doch Menschen werden wach.

Die Friedensbewegung entsteht. Millionen Menschen protestieren. Sie protestieren gegen die Aufstellung neuer Atomraketen in Mitteleuropa. Ihr Motto: „Macht Schwerter zu Pflugscharen!“ ist ihr Motto. Ihre Überzeugung: Die schrecklichen Waffen müssen verwandelt werden in Instrumente für den Frieden. Eben: „Schwerter zu Pflugscharen“

Über vier Millionen Menschen unterzeichneten einen Appell gegen die Aufstellung neuer Atomraketen in Europa. Eine der ersten großen Friedensdemonstrationen fand anlässlich des Deutschen Evangelischen Kirchentags im Juni 1981 in Hamburg statt. Fürchte dich nicht! War das Hauptthema dieses Kirchentages, an dem 130 000 Christen teilnahmen.

Auch Schalom Ben Chorin gehört zu den Teilnehmern. Er, der Jude sitzt unter den deutschen Teilnehmern. In dem Land, in dem den Juden so viel Leid zugefügt wurde. Und er liest seinen Beitrag zur Friedensbewegung: das Frühlingsgedicht vom blühenden Mandelbaum. Das klingt schon etwas verrückt: Ein Mandelblütenzweig gegen atomare Bedrohung? Für Schalom Ben Chorin ist es klar: Gottes Frieden hat eine andere Logik als die des Krieges: „ Muss man, - so fragt er, nicht ein bisschen meschugge sein, um die Hoffnung nicht auf zu geben in dieser Welt und den Glauben an Gott“ Während einer Texter und Komponistentagung ist inzwischen eine Melodie zu jenem Text entstanden. Sie stammt von Fritz Baltruweit. So wird das alte Frühlingsgedicht zu einem Friedenslied in der Friedensbewegung, eine fröhliche Hoffnungsmelodie inmitten bedrohlicher und beunruhigender Entwicklungen.

1. Freunde, dass der Mandelzweig   (F. Baltruweit, Musik 1)
wieder blüht und treibt,
ist das nicht ein Fingerzeig,
dass die Liebe bleibt?   

4. Freunde, dass der Mandelzweig
sich in Blüten wiegt,
bleibe uns ein Fingerzeig,
wie das Leben siegt.   

Das atomare Wettrüsten ist Gott sei Dank beendet. Und wir haben immer noch Frieden. Hier bei uns. Aber auch heute noch steht dieser Friede auf unsicheren Füßen. Auch heute hören sie nicht auf: Die Gräuelnachrichten aus aller Welt. Noch immer gibt es über 40 Kriege. Und noch immer sterben Menschen im Irak, in Afghanistan und anderswo. Und andere, neue Kriege bedrohen uns. Kriege um Wasser. Kriege um Lebensmittel. Um Rohstoffe unter der Erde und unter dem Meer. Und Religionskriege. Kriege, in denen im Namen Gottes Hass statt Liebe verkündigt wird. Da gilt es fest zu halten an der Hoffnung, die sich nicht von Rückschlägen und Niederlagen beirren lässt.

4. Freunde, dass der Mandelzweig   (F. Baltruweit, Musik 1))
sich in Blüten wiegt,
bleibe uns ein Fingerzeig,
wie das Leben siegt.   

Das war Kirche in WDR 3 mit Pastor Christoph Neumann aus Iserlohn über den Choral “Freunde, dass der Mandelzweig“ Es sang die kleine Kantorei des christlichen Sängerbundes unter der Leitung von Horst Krüger.

 

Audiobeitrag "Freunde, dass der Mandelzweig" (eg 651)


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