Der evangelische Rundfunkbeauftragte beim WDR

07.01.05, 6.56 Uhr, Christoph Neumann

Von Riesen und Dorfburschen

Es gibt Menschen, die poltern und machen einen Lärm, sodass die andern es mit der Angst zu tun bekommen. Und weil sie so viel Lärm und Getöse machen, werden ihre

Wünsche von ihren verschreckten Zeitgenossen sofort erfüllt. Bis jemand kommt, der mutig ist und die Verhältnisse ändert.

So erzählt es eine alte Geschichte: Ein junger Mann kommt nach seinen Lehr- und Wanderjahren zurück in sein Dorf. Das ist in hellem Aufruhr. Seit einiger Zeit haust nämlich auf einem Berg  ganz in der Nähe ein Riese. Der hat es sich dort in einer Höhle eingerichtet. Und in regelmäßigen Abständen brüllt er aus dieser, seiner Behausung. Der Riese fordert die Dorfbewohner auf, ihm Speisen und Getränke vor seine Höhle zu bringen. Und immer, wenn seine Stimme über das Dorf erschallt, purzeln anschließend Steine und Felsbrocken polternd ins Tal. In ihrer Angst erfüllen die Einwohner dem gefräßigen Riesen immer wieder seine Wünsche.

Als der Dorfbursche von den Ereignissen hört, ist er empört. „Das dürfen wir uns nicht gefallen lassen! „ Ich werde zu dem Riesen hinaufsteigen und  sehen, was sich da machen lässt!“ Die Leute im Dorf raten ihm ab: „Tu das lieber nicht! Der Riese wird dich erschlagen“. Der ist gefährlich!“ Aber der junge Mann lässt sich nicht von seinem Vorhaben abbringen. Und schon steigt er den Berg hinauf. Es dauert nicht lange, da fängt der Riese wieder zu brüllen an und mit seinem Gebrüll rollen Steine und Felsbrocken den Berg hinab, denen der junge Mann nur knapp entgehen kann.

Endlich, nach einem mühsamen Aufstieg hat der Bursche die Höhle erreicht. Als sich seine Augen an die Dunkelheit im Inneren gewöhnt haben, macht er eine erstaunliche Entdeckung: Ganz hinten in der Höhle hockt ein kleines Männlein in einer Uniform. Das zittert vor Angst und fleht den Dorfbuschen an: „Bitte tu mir nichts. Ich will dir alles erklären“. Der Dorfbursche setzt sich neben das Häuflein Elend und hört sich die Geschichte an.

Der vermeintliche Riese ist in Wahrheit ein kleiner Mann, der als Soldat vor Angst davongelaufen ist. Auf der Flucht fand er die Höhle und als er merkte, dass die Höhle seine Stimme zu einem mächtigen Gebrüll verstärkte, kam ihm die Idee sich als ein Riese auszugeben.. „Was soll ich jetzt nur machen? Jammert das kleine Männlein, nachdem die Geschichte erzählt ist; “ Sie werden mich umbringen, wenn sie mich finden.“

„Ich habe eine Idee“ sagt der Dorfbursche. „ Zieh deine Uniform aus und nimm meinen Mantel. Dann gehen wir ins Tal und ich erzähle den Leuten, dass du mein Freund bist, den ich auf dem Weg zur Höhle gefunden habe. Und ich werde ihnen sagen, dass der Riese nicht mehr da ist.“ So haben es die beiden gemacht. Und es war allen geholfen. Der Dorfbursche bekam ein großes Lob, im Dorf herrschte wieder Frieden und der vermeintliche Riese konnte wieder in Freiheit seine Wege gehen.

Eine schöne Geschichte. Sie erzählt auf ihre Weise, was wir auch heute  erleben können, dass es nämlich Großmäuler gibt. Vorgesetzte zum Beispiel, die brüllen und alle kuschen.. Aber manchmal versteckt sich hinter dem Großmaul ein ängstliches, kleines Geschöpf.

Aber was mich noch mehr an dieser Geschichte fasziniert ist die Lösung. Da hat einer den Mut, sich in den anderen hinein zu versetzen. Sich also in die ‚Höhle des Großmaul’s’ zu begeben. Sich die Geschichte des vermeintlichen Riesen anzuhören und so einen neuen Freund zu bekommen.

Der Dorfbusche in der Geschichte, der das wagt, erinnert mich an Jesus. Als der lebte, gab es nämlich auch schon Großmäuler. Leute, die viel Lärm machten, aber in ihrem Inneren ängstliche, kleine Geschöpfe waren. Jesus hatte den Mut, sich auch in die Großmäuler hinein zu versetzen, sich ihre Geschichte anzuhören. Und aus vermeintlichen Riesen Freunde zu machen, die dieses Spiel nicht mehr spielen müssen.

Audiobeitrag Von Riesen und Dorfburschen


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