Der evangelische Rundfunkbeauftragte beim WDR

20.12.05, 6.56 Uhr, Hans Dieter Osenberg

Du sitzt Maria im Schoß

Ist Jesus denn nun das Kind einer Jungfrau oder nicht? Irgendwann kann man solchen Frage nicht mehr ausweichen. Dann muss geantwortet werden. Ich möchte das heute

tun. Leider nimmt man diese Frage oft zum Anlass, den Glauben eines Menschen zu beurteilen. Also: Wer die Jungfrauengeburt Jesu für wahr hält, ist ein gläubiger Christ, wer das nicht kann, ist gottlos. Dieses Urteil ist falsch. Wer die Geburt Jesu ohne biologische Zeugung durch einen Mann für wahr hält, hat damit über seinen Glauben noch gar nichts geäußert. Und wer sagt, Jesus ist wie jeder andere Mensch auf die Welt gekommen, der kann sehr wohl ein frommer Mensch sein.

Im Lukasevangelium sagt ein Engel der verblüfften Maria tatsächlich: "Der Heilige Geist wird über dich kommen und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten." Schwanger also nicht von einem Mann, sondern von Gottes Geist.
Doch außer Lukas erwähnt nur noch Matthäus eine Jungfrauengeburt Jesu.

Alle anderen 21 neutestamentlichen Schriften wissen nichts davon. Wer also meint, den christlichen Glauben allein schon wegen der Jungfrauengeburt lächerlich machen zu können, dem darf man in aller Ruhe sagen: Die Jungfrauengeburt kann auch fehlen.

Das heißt aber noch lange nicht, sie sei ein Märchen oder bedeutungslos. Ganz im Gegenteil.

Mit der Geschichte von Jesu wunderhafter Geburt äußern sich Christen, die fast ein ganzes Menschenalter danach leben und sich in einer heidnischen Umgebung behaupten müssen. Und diese Heiden können von ihren Herrschern jede Menge Himmelsgeschichten erzählen.

Wenn die Christen unter ihnen bekennen wollen: Jesus ist nicht nur einer von uns, er stammt von Gott - dann kommen sie an einer ähnlichen Geschichte gar nicht vorbei. Niemand hätte sie sonst verstanden. Was Lukas von der Schwangerschaft Marias durch den Heiligen Geist erzählt, ist also kein historischer Report, sondern eine Predigt. Und die lautet: Niemand findet den Sinn seines Lebens in sich selbst. Wir brauchen in Jesus einen, in dem die menschgewordene Liebe und Hilfe Gottes steckt. Nicht unsere eigene Aktivität rettet uns. Es muss etwas an uns geschehen, von außen.

"Empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria." Auch wenn ich glaube, dass Jesus in einem ganz normalen Geburtsvorgang zur Welt kam - und das glaube ich - so kann ich doch diesen Satz aus dem Glaubensbekenntnis dankbar mitsprechen. Denn er sagt: Die Jesusgeschichte hat niemals als bloße Menschensache begonnen, sondern Gott selbst hat diese Geburt eines jüdischen Jungen von Anfang an zu seiner ureigenen Sache gemacht. Das, nur das ist das eigentliche Wunder.

Es gibt ein bemerkenswertes Wort Martin Luthers, das uns vom nutzlosen Streit um die Jungfrauengeburt wegholt und zum Wesentlichen führt. Ich will es ein wenig unserer Sprache angleichen, damit es verstanden wird;

"Pass nur ja auf, dass du beim Evangelium nicht nur auf die Geschichten schaust! Sieh vielmehr zu, dass du Jesu Geburt zu deiner eigenen machst. Das geschieht, wenn du glaubst. Dann sitzest du nämlich selbst der Maria im Schoß und bist ihr liebes Kind. An diesem Glauben musst du üben, solange du lebst"

Audiobeitrag Du sitzt Maria im Schoß


Druckversion

Suche

Sendungen der Woche

Sendungen am Sonntag

Sendungen im Fernsehen