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Die Gottesherrschaft wie ein Kind empfangen
In Ordnung war die Welt vor zweitausend Jahren wahrhaftig nicht. Genau so wenig wie heute. Der König Herodes lässt immerhin drei eigene Söhne töten und innerhalb von
nur fünfzig Jahren werden drei römische Kaiser ermordet. Da hätte es eigentlich eines ausgewachsenen Menschen mit besonderem politischen Geschick und Verstand bedurft, um Recht und Gerechtigkeit herzustellen. Aber es kam ein Kind! Das Kennzeichen für die Hirten auf den Feldern von Bethlehem:
"Ihr werdet ein Kind finden." Gewiss, Jesus bleibt kein Kind. Er wird erwachsen und macht ja auch erst dann von sich reden. Aber von der neuen Gottesherrschaft, die er bringt, sagt er: Man kann sie nur wie ein Kind empfangen oder überhaupt nicht.
Wie ein Kind. Ein Kind hat etwas Entwaffnendes. Denken Sie nur an das Märchen "Des Kaisers neue Kleider". Da starren die Menschen auf einen Kaiser in Unterhosen und wagen nicht zu sagen, was sie sehen. Weil Scharlatane ihnen eingetrichtert haben, der Kaiser trüge die kostbarsten Gewänder. Bis ein Kind ungeniert ruft: "Aber er hat ja gar nichts an!"
Kinder haben etwas Entwaffnendes. Auch unter uns stolzieren Herrschaften in eingebildeten Kleidern herum. Sie tragen ihr politisches oder wirtschaftliches Glaubensbekenntnis wie einen Hermelin oder ihre unbeugsamen moralischen Grundsätze wie eine Stola. Sie wandern damit von einer Talkshow in die andere, und alle sind wie hypnotisiert. Wer verhilft uns zu dem entwaffnenden Schrei des Kindes: Aber ihr habt ja gar nichts an!?
Ein Kind hat etwas Entwaffnendes. Aber auch - wenn man es ihm nicht ausgetrieben hat - ein unverletztes Selbstvertrauen. "Die Großen", schreibt eine Neunjährige, "können nicht Seilhüpfen und Indianer spielen. Ich bin froh, dass ich ich bin." Wenn man das doch könnte: Richtig einschätzen, was man kann und was man nicht kann, und dann mit dem Eigenen froh und spielerisch umgehen, ohne Neid gegenüber anderen. Es gäbe dann ein paar Fanatiker weniger in der Welt.
Ein Kind, wenn wir es nicht dressieren, fragt unbefangen und rücksichtslos, weil es seine Welt begreifen will. "Ich kann nicht verstehen", schreibt ein Achtjähriger, "dass manche Leute sagen, der liebe Gott würde alles gerne tun. Bestimmt würde er nicht gerne in eine explodierende Bombe hineingeraten." Wann lassen wir in einer Welt voller Terror, Hunger und Flüchtlingen die einfachen Fragen wieder zu? Wie sie in aller Einfalt ein Kind stellt. Damit wir nicht länger unter faulen Ausreden das Elend in der Welt immer nur vergrößern.
"Das habt zum Zeichen: ihr werdet finden das Kind." Was den Hirten von Bethlehem angezeigt wird, steht uns fortwährend bevor:
Das Kind finden. Das Kind in mir, das sich gerne beschenken lässt und nicht immer alles selbst in die Hand nehmen will. Das Kind, das entwaffnend und ungeniert fragt. Das Kind, das sich nicht größer machen will, als es ist. Wer die Gottesherrschaft nicht empfängt wie ein Kind, sagt Jesus, der wird nicht hineinkommen.
Die Gottesherrschaft wie ein Kind empfangen
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