Der evangelische Rundfunkbeauftragte beim WDR

11.12.05, 7.45 Uhr, Kerstin Hanke

Der neue Adventskalender

Im ersten Jahr seiner Trennung hingen drei Adventskalender in Markus Küche. Aber nur einer wurde geöffnet. Die anderen zwei blieben wie sie waren. Geschlossen. Ihre

Besitzer waren nicht da, um sie zu öffnen. Diese erste Zeit war hart, erinnert sich Markus. Nach der Trennung von seiner Frau musste er erst einmal Land gewinnen. Eine neue Wohnung, eine neue Stadt. Und die neue Rolle als Wochenendpapa. Seine Jungs waren an den Wochenenden ja immer eingespannt. Bei den Weihnachtsfeiern der Vereine, der Musikschule, des Schachclubs…

Die Rituale der Familienphase taugten einfach nichts für getrennte Eltern. Markus schaute jeden Morgen nur stumpf auf die Adventskalender und biss in seine Schokoglocke. Er fühlte sich schrecklich allein, aber er hatte einfach keine Idee und keine Kraft, wie er das ändern sollte. Als er am Tag vor  dem Heiligen Abend seine
Jungs zu sich holte, mussten die dann 23 Törchen auf einmal aufmachen. 23 Tage Vorfreude nachholen…das klappt nicht so recht.  Damit war diese ganze Kalenderidee vollkommen sinnentleert, erinnert sich Markus. Damals  begann er seine Rituale zu hinterfragen. Früher waren es seine Mutter, später dann seine Freundinnen und zuletzt seine Frau, die sich immer darum gekümmert hatten. Er hatte das als selbstverständlich hingenommen.  Das ist halt hübsche Dekoration. Frauen mögen das. Eigentlich überflüssig. In jenem Jahr begann zu zweifeln. Er hätte nie gedacht, dass  ihm das einmal fehlen würde.

Im ersten Jahr hatte er noch nicht einmal eine Kerze, geschweige denn einen
Adventskranz oder etwas ähnliches. Er hatte nur diese drei Kalender aus dem Supermarkt. 

Wie freut sich eine getrennte Familie gemeinsam auf Weihnachten?  Im zweiten Jahr ihrer Trennung teilten Markus und seine Frau die Wochenenden auf. Er sah seine Söhne häufiger und das war für alle gut. Dann stand die nächste Adventszeit an…Nach der neuen Regelung hieß das:  doppelt feiern. Für jedes Kind zwei Adventskalender, zweimal Nikolaus, zweimal Bescherung. Die Jungs waren davon begeistert.  Aber als Weihnachten vorüber war, dachte Markus. Verdoppelung kann auch nicht die Lösung sein. Wir lenken einfach durch Überfluss von dem Kernproblem ab. Und er beschloss etwas zu ändern.

Sein Ältester ging seit dem Sommer in den Konfirmandenunterricht. Markus hatte ihn ab und an in den Gottesdienst begleitet und er mochte das anschließende Kirchcafe. Da konnte er entspannt plaudern, während die Jungs mit ihren Freunden kickerten.  Da kam Markus die Idee:

Wenn in der Kirche schon der Advent entstanden ist, dann sollte man ihn auch da feiern. Mit diesem Vorschlag überraschte Markus seine Söhne und seine Exfrau.
Wir müssen uns nicht so tun, als ob wir eine heile Familie sind und Sonntags um vier Kerzen sitzen. Das überfordert uns. Aber wir können eine getrennte Familie sein, die trotzdem gemeinsam feiern kann. An einem neutralen Ort, wo unsere Probleme keine Rolle spielen. Unter Menschen, die ebenfalls da feiern.  Und das tut nicht nur den Kindern gut, sondern auch uns.

Im dritten Jahr ihrer Trennung trafen sie sich an den Adventssonntagen in der Kirche. Sie saßen gemeinsam in der Kirchenbank, blieben zum  Kaffeetrinken. Plauderten über  Alltagsdinge, gingen danach wieder ihrer Wege. Markus hatte für die Jungs einen neuen Adventskalender aus Holz gebastelt. Vier Türen für vier Adventssonntage. Die öffneten sie dann noch gemeinsam.

Audiobeitrag Der neue Adventskalender


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