Der evangelische Rundfunkbeauftragte beim WDR

27.11.05, 8.05 Uhr, Christoph Sixt

Aufbruch zum Advent

Ein frohes, neues Jahr wünsche ich Ihnen, meine lieben Zuhörerinnen und Zuhörer – Ach so, ja also ich muß diesen sonderbaren Gruß erklären. Heute ist der 1. Advent.

Da beginnt ein neues Jahr, „unser“ neues Jahr,
im Jahreslauf der Kirche. Bei der Gelegenheit will ich heute morgen  an die Notwendigkeit eines bestimmten Aufbruchs erinnern, der mit dem Advent zutun hat. Also mit dem Kommen des Heilands.

Mein Name ist Christoph Sixt und ich bin Pfarrer in Bad Salzuflen, am schönen Teutoburger Wald gelegen. In jener Gegend, in der auch Friedrich Spee z.Zt. des 30 – jährigen Krieges wirkte. Er kämpfte mutig gegen den damaligen Hexenwahn. Von ihm stammt das Adventslied „O Heiland, reiß die Himmel auf...“,das uns heute morgen begleiten wird.

Mein Bruder und ich, als wir klein waren, wir nannten dieses Lied „Matschlied“. Weil wir als Kinder natürlich auf Schnee hofften zu Weihnachten, aber hier heißt es doch: „O Gott ein Tau vom Himmel gieß...“ und schlimmer noch: „O Erd schlag aus, schlag aus o Erd, dass Berg und Tal grün alles werd. !“
Nee, das wollten wir eigentlich lieber nicht!

Aber es geht ja in dem Lied gar nicht um Großwetterlagen, sondern um einen ziemlich heftigen Aufbruch: „reiß ab“, „schlag aus“, „spring“ heißt es da. Es geht um. Aufbruch aus einem unerträglich gewordenen Leben.

Aufbruch kommt oft überraschend in unser Leben. Das war vielleicht auch der Grund, warum Sie überrascht waren, als ich Sie eben mit: „Ein frohes, neues Jahr...“ begrüßt habe.

Der Advent kommt plötzlich, übergangslos.
Ich denke  zurück an ein Erlebnis aus meiner Schulzeit.
Um 8 Uhr war es noch stockdunkel. Die Straßenbeleuchtung brannte noch, wenn man am 27. November in die Schule kam. Und öffnete die Tür zum Klassenzimmer der „Quarta“ und glaubte, seinen Augen nicht zu trauen: Alles im Kerzenglanz! Auf den Doppelpulten klebten Kerzen, umsäumt von kleinen Tannenzweigen, deren frischer Duft schon den Dielenöl –Geruch der Schulklasse zu überlagern begann. Und unser Mathe – Lehrer, „Pappa Noll“, las eine Weihnachtgeschichte, schön lang, bevor dann mächtig das Lied: „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit...“ angestimmt wurde.

Später dämmerte dann der normale Schulalltag herauf, aber der Zauber dieses überraschenden Aufbruchs in die Vorweihnachtszeit blieb in der Klasse hängen wie der Duft der  Tannennadeln, die heimlich hinter vorgehaltener Hand am Kerzenlicht zum glühen, zum glimmen und verdampfen gebracht worden waren.

Ob es solche Schulfeiern heute noch gibt weiß ich nicht. Vielleicht hier und da. Aber überraschend, ja willkürlich erscheint es doch, dass heute, wo die Tage doch immer noch dunkler und dunkler werden, ein neues Kirchenjahr beginnen soll. Vor allem dann, wenn man selbst solche dunklen Tage wie den Totensonntag dieses Jahr ganz intensiv erlebt hat. Bewusster als sonst. Wie ich in diesem Jahr. Und das kam so:

In diesem Jahr bin ich aufgebrochen, um ein Grab aus dem 2. Weltkrieg zu suchen.


Musik 1


In diesem Jahr bin ich nach Rumänien aufgebrochen, um ein Grab aus dem 2. Weltkrieg zu suchen. Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben das Grab meines Vaters besucht, der Oktober  `44 fiel
Was für ein Erlebnis.

Ein Freund begleitete mich auf den endlosen Schlagloch – Pisten durch Siebenbürgen in die Karpaten. Am vierten Tag fanden wir den Friedhof, so, wie ihn der Hauptmann beschrieben hat – mein Freund hielt das Schreiben in seiner Hand- „Gefallen für Führer, Volk und Vaterland...der Fahnenjunker und Pfarrer Hans Sixt am 3. Oktober 1944 in Batos bei Sächsisch Regen...und ist auf dem Ortsfriedhof an würdiger Stelle beigesetzt...“

Die „würdige Stelle“ war vielleicht der Schutthaufen, der die Grabsteine der deutschsprachigen Pfarrer markierte. Er lugte unterhalb des Hügelkreuzes aus Holunder und Brennnesseln hervor. Glänzend schwarzer, polierter Granit, die letzte Inschrift von 1937. Später
Erklärte uns der Pfarrer von Sächsisch Regen, (das seinen Ortsnamen wieder aus deutsch führt), kurz vor der Wende hätten Ceausescus Leute in den Kirchenbüchern und auch auf dem Friedhof noch einmal gründlich mit der deutschen Vergangenheit aufgeräumt. Ein Grab sei daher in meinem Fall nicht mehr zu finden.

Da stand ich nun unter dem Kreuz auf dem Hügel.
Drunten lag das Dörfchen, drüben die blauen Hügel der Karpaten.
Und das Kreuz auf dem Hügel, das ertrank förmlich in hohem Gras, verwilderten blauen Iris und weißen Narzissen.
Mein Freund blieb in gebührendem Abstand von mir entfernt stehen, taktvoll, aber ich dachte nur: „Mein Gott!“ Und spürte nur Leere und Aufgeregtheit: Da war nichts, nichts von einem Grab, gar nichts. Was sollte das alles? Und ich merkte, wie ich einen letzten Trostgedanken meiner Kindheit verlor. Ja, wie mir mein Vater zum zweiten Mal starb. Wie sich das alles verflüchtigte ins Nichts. „Grab im Osten“, es schwand dahin. Es war nicht! Aus! Was hatte ich denn auch zu finden gehofft? Eine Inschrift? Einen Knochen? Einen Stahlhelm?

Beim Blick auf das Kreuz, die Weite, die sonnenbeschienene Ebene dahinten fiel mir das Wort des Engels ein, aus der Ostergeschichte: “Was sucht ihr den Lebendigen bei den Toten...?“ War das die Antwort? „Bitte, ein Zeichen, irgendwas...“ flehte ich.
Aber ich schluckte nur trocken- und dann das Gefühl, der Gedanke, immer stärker: “Los, weg hier, nichts wie weg, ab, nach Hause, komm, wir hauen ab...“
Aber war es nicht das? Das Zeichen? War dieser Satz nicht womöglich genau das Letzte, was mein Vater dachte und fühlte, Oktober 44, morgens 5 Uhr, im Maisfeld, dem Bajonett des Russen gegenüber.
Und ging es vielleicht darum- ich meine: Gott darum, dass ich zu einem solchen letzten Satz- oder Schrei- fähig wurde : „Weg hier, komm, ab nach Hause!“?


Musik 2


Wie klingen jetzt die Worte Friedrich Spee’s

Sprecher:
„Hier leiden wir die größte Not
vor Augen steht der ewig Tod.
Ach komm, führ uns mit starker Hand
Vom Elend zu dem Vaterland!“

Und weiter: Heute, wo ich Wochen später das Foto in den Händen halte, von jenem Hügel, auf dem das Kreuz steht, da begreife ich endlich, was ich damals zwar sah, aber eben doch nicht gesehen, nicht begriffen habe: Daß die verwilderten Iris und Narzissen von ehemaligen Gräbern- vielleicht auch von seinem- dass das Blumen sind, die jedes Frühjahr festlich wiederkommen- und nichts kann sie daran hindern...

Sprecher
„...o Erd schlag aus, schlag aus o Erd,
dass Berg und Tal grün alles wird.
O Erd hervor dies Blümlein bring,
o Heiland, aus der Erden spring.“

Mich überrascht es selbst in diesem Jahr, dass ich das Leuchten der ersten Adventskerze so warm und schön erfahre. So überraschend heimelig auch, wie bei der Adventsfeier im Klassenzimmer.
Auf einmal war ( jetzt )alles anders, als ich die Worte „zu Hause“, „Nach Hause“ als meine Worte und die Worte meines Vaters gleichzeitig hören konnte.
Und als ich die Iris und Narzissen wirklich sah, die sich Jahr für Jahr an ihren Aufbruch ins Leben erinnern.

Manchmal wird einem etwas klar. Die Tore müssen von innen aufgehen – sagt Friederich Spee in seinem Adventslied.

Sprecher:
„O Heiland, reiß die Himmel auf
herab, herab vom Himmel lauf.
Reiß ab vom Himmel Tor und Tür,
reiß ab, wo Schloß und Riegel für

Und so wird auch die Tür zum Weihnachtszimmer den Kindern geöffnet: Von innen, natürlich.

Viele von uns erinnern sich an das berühmte Schlüsselloch, durch das man verbotenerweise schon einen Ausschnitt der Herrlichkeiten erahnen konnte. Ich erinnere mich z.B. an eine rotglänzende Kugel im dunklen Tannengrün, umgeben von zwei, drei Lamettafäden und weiter rechts etwas goldenes, braunes: eine Kerze, eine Nuss? – Schokolade...?
Und das war schon toll manchmal, was man sich da alles so vorstellte.


Aber nein, der Gang ins Weihnachtszimmer, im Glanz der vielen Kerzen auf den Baum zu, das Schielen nach den verdeckten Geschenken dabei, das war in der Erinnerung doch das  Schönste von allem.
Zu all dem muss einem die Tür von innen geöffnet werden, anders geht das nicht Auch zum Begreifen dessen, was das Erlebte für einen selbst nun eigentlich bedeutet. Man kann dazu auch sagen:“ Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen“. Mir damals auf dem Friedhof noch nicht, später, als ich begriff, was ich gesehen und gehört hatte, die Iris und Narzissen also, und dieses :“Weg hier, los, wir fahren nach Hause... hörte.

Am Ende einer Auslandsfahrt ist das manchmal ein toller  Gedanke: bin ich voller Vorfreude: : „So, ab morgen geht’s nach Hause. (Ich freu mich so.) Es war schön, es war aufregend und sehr interessant, aber jetzt, jetzt freu ich mich auch wieder auf mein Zuhause.

So verstehe und singe ich die letzte Strophe:
„Da wollen wir all danken dir,
unserm Erlöser für und für.
Da wollen wir all loben dich
Zu aller Zeit und ewiglich
Das, meine ich, ist mit Advent, mit Vorfreude für uns gemeint.

Damit verabschiedet sich von Ihnen Ihr Pfarrer Christoph Sixt von der Ev. Kirche in Bad Salzuflen. Ich wünsche Ihnen einen- gesegneten Adventszeit.

Audiobeitrag Aufbruch zum Advent


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