Der evangelische Rundfunkbeauftragte beim WDR

9.12.05, 6.56 Uhr, Hermann Pressler

Vatersuche

Irgendwann kommt die Frage in uns auf: Warum bin ich denn, wie ich bin? Warum gerade so und nicht anders? Wer hätte nicht schon mal spontan zu einem jungen Menschen gesagt:

Na, die Ähnlichkeit ist aber unverkennbar. Der Blick, der Gesichtsausdruck – wie der Vater.  Da geht es um die Vergleichbarkeit von Vater und Sohn im Äußeren. Aber nicht nur Köperbau, Gesichtsform oder Mimik können unsere Abstammung sozusagen verraten. Auch unser Temperament, bestimmte Reaktionsweisen und das, was wir als besondere Gabe an uns erkennen, zum Beispiel die Leichtigkeit, mit der wir auf andere Menschen zugehen können oder wie wir uns damit schwer tun, all das kann uns von Vater oder Mutter schon mitgegeben worden sein. Egal, ob wir dafür unser Erbgut oder die Erziehung in unserer Familie verantwortlich machen.

Sag mir, woher du stammst, und ich sage dir, wer du bist und was aus dir wird? Nicht doch! Unsere Familien bestimmen zwar unentrinnbar unser Leben mit, aber sie sind nicht einfach unser Schicksal. Aber wer nach sich selbst fragt, sich selbst verstehen möchte, der wird sich zum Beispiel irgendwann in seinem Leben mit seinem Vater auseinandersetzen.

Und weil das so ist, verstehe ich sehr gut, wenn ein Junge, der seinen Vater nicht kennt, alles dran setzt, herauszufinden, wer er ist. Eine Randnotiz meiner Tageszeitung berichtete dieser Tage: Ein 15-Jähriger, der mit gespendetem Samen gezeugt wurde, schaffte es mit Hilfe des Internets, seinen Vater ausfindig zu machen. Indem er die Daten seiner Erbinformation einem Internet-dienst für Ahnenforschung schickte, der wiederum die genetische Information des Jungen mit einer Datenbank abglich, in der genetisches Material von Samenspendern gespeichert war.

Wer bin ich? Wer ist mein Vater? Ich glaube, diese Frage hat sich Jesus oft selbst gestellt, stellen müssen. Oder sie ist ihm gestellt worden: Als Johannes, der Mann, der Jesus im Jordan taufte, wegen seiner Kritik an seinem Landesfürsten Herodes ins Gefängnis geworfen wurde, ließ er Jesus fragen: „Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?“

Bist du der Christus, der Sohn Gottes? Und wessen Ankunft im Advent erwarten wir, wer wird da geboren zu Weihnachten? Unsere „Datenbank“ ist die Bibel, und da finden sich widersprüchliche Antworten: Jesus ist der Sohn von Josef und Maria, Jesus ist vom heiligen Geist gezeugt. In einem neueren jüdischen Lexikon wird. eine bald nach Jesu Tod in die Welt gesetzte Vermutung wiederholt, er sei der Sohn eines römischen Besatzungssoldaten. - „Empfangen durch den heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria?“

Die Frage nach Jesu Vater ist durch das einfache Abfragen der „Datenbank“ Bibel oder durch ihre historisch-kritische oder naive Auslegung nicht zu beantworten. Ob Jesus der Sohn Gottes ist, das kann ich nicht als distanzierter Beobachter herausfinden. Allein glaubende Teilnahme, die vertrauensvolle Auseinandersetzung mit Jesus, führt mich zu Gott. Wie in der Liebe, die ja nichts anderes ist, als der Glaube, dieser geliebte Mensch ist der richtige für mich, der Sinn meines Lebens. Bin ich zu dieser Liebe bereit?

Sprecherin:
„Wäre ich so bereit / und fände Gott so weit Raum in mir /
Wie in unserem Herrn Jesus Christus / er würde mich ebenso mit seiner Flut erfüllen. / Denn der heilige Geist / kann sich nicht enthalten / in all das zu fließen / wo er Raum findet / und soweit wie er Raum findet“ …

Autor: …schrieb der Mystiker Meister Eckhart.
Und gab damit eine Antwort nicht nur auf die Frage, wer Jesus ist, sondern auch, wer wir sein können im Blick auf Gott, den Vater.

(Zit. nach J. Zink, Dornen können Rosen tragen, S. 261)

Audiobeitrag Vatersuche


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