Der evangelische Rundfunkbeauftragte beim WDR

8.12.05, 8.56 Uhr, Hermann Pressler

Zeigen Sie sich von ihrer besten Seite

Eine der tiefsten Beschreibungen des christlichen Glaubens steht für mich in einem Brief des Neuen Testaments. Der Verfasser dieses Briefes mit Namen Johannes schreibt

im ersten seiner drei Briefe: „Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott, und Gott bleibt in ihm.“ Dieses Glaubensbekenntnis kann ich nachsprechen, obwohl mir bewusst ist, wie sehr das zentrale Wort „Liebe“ missbraucht wird unter uns. Denn selbst im Wis-sen um so viel enttäuschte, gebrochene und missverstandene Liebe im Laufe eines Menschenlebens habe ich wirkliche Liebe erfahren – und da, wo sie abwesend war, eine tiefe Sehnsucht nach ihr verspürt.

Wie glücklich sie macht, wenn sie uns erfüllt, und wie traurig, wenn sie sich uns entzieht, die Fülle und der Mangel an Liebe, beides, zeigt ihre Unentbehrlichkeit für mein Leben. Sie ist somit das größte Glück und ihr Fehlen das größte Unglück. Das, was mich am tiefsten angeht und berührt und daher mit dem höchsten Wort, das unsere Sprache kennt – mit Gott in eins gesetzt werden kann. Weil wir von unseren Erfahrungen mit der Liebe sprechen können, können wir auch über unseren Glauben an Gott spre-chen; denn, so heißt es im 1. Johannesbrief: „Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott, und Gott in ihm.“

Gott ist kein direkter Gegenstand unserer Erfahrung, der betrach-tende Distanz erlaubt. Niemand hat Gott je gesehen. Wir können und sollen Gott auch nicht sozusagen neutral betrachten wollen, wie ein Mensch, der sich einem Bild gegenüber hinstellt und es ansieht. So lässt sich Gott nicht „blicken“ und nicht erblicken. Gott kann ich also nicht von außen fassen, sondern er erfasst mich innerlich. Er stellt sich nicht neben mich, sondern er stellt mich – von innen her, und dann gibt es keine Ausflüchte mehr, da muss ich Farbe bekennen in meinem Leben.

Dieses innere Erfasstsein von Gott, das mich in eine Beziehung zu ihm stellt, geschieht aus Liebe. Gott kommt zu mir wie die Liebe, die mich verwandelt, die aus mir einen anderen macht, mich offener und empfindsamer macht, und die mich aus meiner Fixierung auf mich selbst befreit. So erfasst mich Gott- als Liebe, die aus mir einen Menschen werden lässt, der mehr liebt, als er zuvor geliebt hat.

Wenn die Liebe Gottes mich treibt, dann treibt sie mich aus meiner Selbstverliebtheit heraus. Selbstverliebtheit ist etwas anderes als Eigenliebe, die in jedem Menschen vorhanden sein sollte.

Selbstverliebtheit drückt sich in der mein ganzes Leben quälen-den Frage aus: Wo bleibe ich? Komme ich auch nicht zu kurz? Selbstverliebtheit ist gepaart mit nachhaltiger Angst um mich selbst. Eigenliebe dagegen ist ein Grundvertrauen, dass das Leben es gut mit mir meint. Sie beruht darauf, sich geborgen zu wissen und wertvoll zu sein. Sie ist selbst ein Geschenk der Liebe und des Glaubens. Deswegen wirft sich ein Mensch, der sich selbst liebt, nicht weg uns steht nicht für alles bereit. Nur der Selbstverliebte ist sich für nichts zu schade.

Es kommt also darauf an, „in der Liebe zu bleiben“, denn „wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott, und Gott bleibt in ihm.“ In der Adventszeit ist viel von „Liebe“ die Rede, das „Fest der Liebe“, Weihnachten, ist nahe. Hier haben wir leider auch ein Beispiel dafür, wie der Begriff der Liebe hemmungslos und inflationär in den Dienst der Werbung und des Konsums gestellt wird. Deswegen lassen Sie sich bei Ihren Weihnachtseinkäufen bitte nicht verwirren und beirren: „Gott ist Liebe“ – und nicht, wie es einer Werbebotschaft heißt, „Gold“ sei Liebe.

Also zeigen Sie sich zu Weihnachten ruhig von ihrer besten Seite: Zeigen sich möglichst viel von der Liebe, die in Ihnen ist. Dann müssen Sie niemandem gegenüber ein schlechtes Gewissen haben – und bestimmt kommt dann auch niemand zu kurz.

 

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