Der evangelische Rundfunkbeauftragte beim WDR

5.12.05, 5.56 Uhr, Elke Rudloff

Das Buch des Lebens

Hanna ist völlig fasziniert von ihrer Entdeckung aus dem Internet . Dabei ist es gar keine neue Liebe, sondern das perfekte Weihnachtsgeschenk. Es erfüllt alle ihre Ansprüche

Es ist es ist persönlich, es ist kreativ und sieht dabei sehr professionell aus.
Wie das geht? Nun, man lädt sich eine Datei aus dem Internet, füllt sie mit eigenen Fotos und selbstgeschriebenen Texten , schickt sie ab und hält kurze Zeit später per Post sein eigenes gedrucktes Buch in den Händen. Sogar mit ISBN-Nummer für Nachbestellungen.

Hanna hat mir schon das Buch für ihre Großmutter gezeigt – es sieht wirklich gut aus. Lauter Bilder aus ihrer Lebensgeschichte sind da drin. Ihre Oma als Säugling im Familientaufkleid. Dann mit Zöpfen und Zuckertüte am ersten Schultag. Das Zeugnis von der Hauswirtschaftsschule oder ihre Großmutter als Braut unter der bekränzten Haustür. Dazwischen hat Hanna Erinnerungen aufgeschrieben, die sie von Familienfesten wusste. Als ich das Buch durch geblättert habe, war ich richtig beeindruckt.

Gleichzeitig habe ich mich gefragt, wie wohl mein eigenes Buch ausfallen würde. Diese Frage gebe ich heute morgen an Sie weiter, liebe Hörerinnen und Hörer. Was in einem Leben ist wichtig genug, dass wir es mit Worten und Bildern festhalten? Sicher sind die herausragenden Feiern wie Einschulung, Konfirmation und Hochzeit dabei. Und auch das Federballspiel am Strand oder die Grillfete im Garten.

Aber was ist mit den traurigen Erlebnissen? Krankheiten, Liebeskummer oder eine verpatzte Prüfung kommen doch genauso in unserem Leben vor. Nur dass es von verheulten Augen, Wutanfällen oder Gallenkoliken keine Fotos gibt. Und wenn es sie gäbe, würden wir sie vor der Abgabe unserer Datei wahrscheinlich verschämt aussortieren.

Da finde ich es einen tröstlichen Gedanken, dass diese Seiten am Ende trotzdem drin stehen werden - ohne dass ich mich dafür schämen muss. Denn der Herausgeber meines Buches wirft einen anderen Blick auf mein Leben. Gott akzeptiert auch die Seiten, die ich lieber durchstreichen oder herausreißen würde.

„Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es; du verstehst meine Gedanken von ferne...Alle meine Tage waren in dein Buch geschrieben, die noch werden sollten und von denen keiner da war“ (Psalm 139, 2.16b) sagt ein altes Gebet aus der Bibel. Wer so spricht, vertraut darauf, dass Gott am Ende verständnisvoll in einem Lebensbuch blättert und mit gütigen Augen darin liest. Weil für Gott auch die Schatten- Seiten dazu gehören und erst mit ihnen ein Leben vollständig ist.

„Spräche ich: Finsternis möge mich decken und Nacht statt Licht um mich sein – so wäre auch Finsternis nicht finster bei dir und die Nacht leuchtete wie der Tag“ sagt das Gebet an anderer Stelle. Darin höre ich eine weitere Hoffnung: Gott wird mein Lebensbuch fortschreiben. Das, was ich jetzt als ein unvollendetes oder düsteres Kapitel mit eingerissenen Seiten empfinde, wird am Ende von Gott in ein anderes Licht getaucht und verwandelt wie die Nacht durch den Tag.

Mit dieser Gewissheit kann ich auch selbst mein Lebensbuch wohlwollender betrachten. Denn auch wenn darin nicht alles auf Hochglanzpapier steht, ist es noch lange kein Klassenbuch mit Fehlzeiten und Tadel. Sondern ein kostbares, kreatives Geschenk, das mein göttlicher Herausgeber mit viel Liebe angefertigt hat.

 

Audiobeitrag Das Buch des Lebens


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