Die schwarze Maria
Alle waren schwarz auf diesem Krippenbild: Maria, Josef, die Hirten und das Baby. Ich saß am Schreibtisch und überlegte mir gerade, was ich im Weihnachtsgottesdienst über
diese schwarze Maria sagen wollte. Glücklich sah sie aus, wie sie da vor ihrer Strohhütte saß und ihr Baby auf dem Schoß hielt. Die Sterne am Himmel funkelten mindestens so wie ihre Augen.
Da riss mich das Telefon aus meinen Gedanken. Es war ein Kollege aus der Flüchtlingsberatung. Ich brauche deinen Rat sagte er. Vor mir sitzt eine Frau aus Nigeria. Die ist von einem Deutschen schwanger geworden. Doch der will nichts mehr von ihr wissen. Jetzt ist ihr Touristenvisum abgelaufen. Asyl beantragen will sie nicht, denn sie möchte wieder nach Hause. Aber vorher muss sie erst mal ihr Kind zur Welt bringen. Sie weiß nicht wo. Ohne geregelten Aufenthaltsstatus wird das schwierig, da kann ich sie nicht mal in ein Krankenhaus schicken. . Da hast Du Deine schwarze Maria, dachte ich. Es war, als hätte ich soeben einen Auftrag von höchster Stelle bekommen, dem ich mich unmöglich entziehen konnte. Mir schwirrten die Gedanken im Kopf herum. Eine heimliche Hausgeburt bei mir im Wohnzimmer? Oder ein provisorischer Kreissaal in den Räumen neben der Kirche? Beides war keine gute Lösung. Ich erbat mir etwas Zeit, um verschiedene Möglichkeiten auszuloten.
Dabei fiel mir die Maria aus der Bibel noch mal ein. Wie schnell hatte sie sich bereit erklärt, einen viel größeren Auftrag anzunehmen! Ohne Voranmeldung stand plötzlich der Engel Gabriel bei ihr in der Tür. Fürchte dich nicht, hatte er zu ihr gesagt. Du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären. Dem sollst du den Namen Jesus geben. Marias Antwort auf den Auftrag, Gottes Sohn zur Welt zu bringen, kam ohne Zögern: Ich bin Gottes Mitarbeiterin. Es geschehe nach deinem Wort.
Sicher wird sie auch Bedenken gehabt haben. Wie sie das als junges Mädchen eigentlich schaffen sollte. Ob ihr Verlobter dann noch etwas von ihr wissen wollte. Und wie es um ihren Ruf stand, als unverheiratete Frau schwanger zu sein. Doch von diesen Fragen machte Maria ihre Zusage nicht abhängig, sondern vertraute darauf, Lösungen zu finden.
So war es auch im Fall der Maria aus Nigeria.. Überall wo wir von ihrem Schicksal erzählten, reagierten die Menschen gerührt und boten ihre Unterstützung an Von der medizinischen Betreuung bis zum Strampelanzug. Eine Schulklasse spendete sogar das Taschengeld für einen gebrauchten Kinderwagen.
Nach diesem Erlebnis hatte ich einiges von Maria gelernt. Es war fast, als hätte sie sich mit strahlenden Augen aus dem Krippenbild zu mir gewandt und gesagt: Fürchte dich nicht! Denn wenn Gott dich braucht, kannst Du über dich hinaus wachsen und Kräfte entdecken, von denen du vorher nichts ahntest.
Die schwarze Maria
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