Der andere Advent

„Noch 10 lange Monate “, erklärte Kurt, „dann ist Weihnachten, das Fest des Friedens.“ Es war im Frühjahr als er einzog und bald wusste jeder in der Wohngruppe:

er wartet auf Weihnachten. 

Kurt ist Weihnachtsspezialist. Das hatten mir die anderen schon gesagt. Trotzdem war ich sprachlos,  als er mir  Ende August  zum ersten Mal in diesem Jahr eine schöne Vorweihnachtszeit wünschte. „Nur noch drei Monate und drei kurze Wochen.“

Noch 15 Tage  bis Weihnachten. Kurt braucht keinen Adventskalender, warum auch? Schließlich ist nach seiner Zeitrechnung am Sonntag  der 50. Advent. Da ist der Rest  ein Klacks. Weihnachten steht praktisch vor der Tür. In der Wohngruppe ist ein Adventskalender überflüssig. Es reicht in Kurts Gesicht  zu sehen;  sein Lächeln wird jeden Tag eine Spur breiter.

Kurt ist Vorfreudenspezialist. Er wird nie enttäuscht. Dauerregen, zwei Grad plus? Als Geschenke Socken, Schlafanzug, Duschbad?  Kurt wird  unterm Baum sitzen und sich freuen. Er wird strahlen wie jedes Jahr - von morgens bis abends. Er wird zuvorkommend sein. Wenn es Streit gibt, wird er schlichten. Mit wenigen Worten. Er ist in diesen Tagen die anerkannte Autorität.

Kurts  Freude über Weihnachten hält bis Anfang Januar. Dann beginnt  er zu rechnen, geduldig wie immer. Aber ich glaube, eigentlich sind die Zahlen für ihn nur ein Spiel. Wie lange es bis Weihnachten dauert, ist ihm letztlich egal. Entscheidend ist: Es  kommt. 

 Der andere Advent