Der evangelische Rundfunkbeauftragte beim WDR

13.11.05, 7.45 Uhr, Jens Burgschweiger

Erinnerung an einen toten Soldaten

"Ich freue mich sehr, dass Ihr, meine Lieben, so oft an mich denkt. Meine Gedanken sind auch immer bei Euch. Und wenn erst mal wieder Frieden ist und wir alle gesund

beisammen sind, dann wollen wir es uns recht gemütlich machen.“

Dazu ist es nie gekommen. Der Verfasser dieses Briefes fiel in der französischen Normandie. 18 Jahre jung - eigentlich noch ein Kind. Einmal im Jahr tritt seine Schwester die Reise in die Vergangenheit an. Besucht mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge den Friedhof St. Manvieu-Cheux, auf dem der Junge begraben liegt.

Aus einer Mappe mit alten Briefen und Unterlagen zieht sie eine blaue, mittlerweile arg abgegriffene Karte hervor. Da steht es Schwarz auf Weiß: Der Name des Jungen versehen mit dem amtlichen Vermerk: Gefallen am 27. Juni 1944 in Cheux. Grablage: unbekannt.

Die ältere Dame erinnert sich: Sie wollten es zuerst gar nicht wahr haben. Jahrelang haben ihre Eltern und sie immer noch gehofft: Vielleicht lebt er ja noch. Unzählige Briefe haben sie damals geschrieben. An ehemalige Kameraden, Kommandanten und wer sonst noch etwas wissen könnte. Vergeblich. Erst als die Soldaten der Kompanie ihres Bruders aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrten, erfuhr die Familie, was an jenem verhängnisvollen Tag passiert war.

Der Junge hatte unter einem zerschossenen Panzer Schutz gesucht, ganz rechts außen. Genau dort, wo die Granate einschlug. Seine Kameraden ergaben sich, ihren toten Freund   mussten sie zurücklassen. 

Zehn Jahre dauerte es, bis die Familie Nachricht bekam, wo der Leichnam begraben liegt. Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge hatte im Rahmen einer besonderen Aktion die Gräber der bis dahin unbekannten deutschen Soldaten geöffnet. Dank seiner bei ihm gefundenen Erkennungsmarke konnte der Bruder identifiziert werden.

"Hier", sagt sie und hält mir ein Foto hin. "Da liegt er." Einer von 500 deutschen Soldaten, die auf diesem Friedhof neben rund 2000 englischen, kanadischen und schottischen Soldaten ruhen. Ein weißer Grabstein inmitten von unübersehbar vielen anderen. Reihe an Reihe. Freund und Feind im Tode vereint.

An die erste Reise zur Grabstätte ihres Bruders in Frankreich kann sich die ältere Dame noch genau erinnern. Ihre Mutter habe einen Beutel heimischer Erde mitgenommen und diese auf dem Grab verteilt. Damit der Junge etwas von der Heimat habe. Die Eltern seien danach nie mehr zum Friedhof gefahren. Sie aber muß einfach jedes Jahr dorthin.

Mittlerweile ist sie auch beim französischen Friedhofsgärtner bekannt. Er spricht kein Wort Deutsch, sie kein Wort Französisch. Aber wenn sie kommt, läuft er ihr immer schon  mit Gießkanne und Schaufel entgegen und begleitet sie zum Grab ihres Bruders. Sie weiß: Er teilt ihre Trauer und das Gefühl, daß es einen Krieg nie wieder geben darf.

Audiobeitrag Erinnerung an einen toten Soldaten


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