Der evangelische Rundfunkbeauftragte beim WDR

24.11.05, 5.56 Uhr, Dr. Sven Keppler

Auf dem rechten Weg

Angefangen hat es mit einem Buch von Wolfgang Büscher. Der hatte die Tür seines Hauses in Berlin hinter sich zugezogen und war einfach losgegangen.

Zu Fuß nach Moskau. Als meine Frau sein Buch gelesen hatte, war klar: So etwas müssen wir auch tun.
Uns zog es jedoch Richtung Südwesten. Auf den Jakobsweg nach Santiago de Compostela. Denselben Weg wie Millionen von Pilgern in den letzten tausend Jahren. Sich einreihen in einen kontinentalen Menschenstrom durch den Raum und die Zeit. Aus ganz Europa waren im Mittelalter Menschen nach Santiago gezogen, in die Nordwestecke von Spanien. Zum Grab des Apostels Jakobus, des Jüngers Jesu. Seit einigen Jahren hat die Zahl der Jakobspilger wieder stark zugenommen.

Dann kamen bei uns Protestanten jedoch Bedenken. Ist das Pilgern nicht etwas Katholisches? Die Sehnsucht, am Grab eines Heiligen etwas von dessen Verdiensten abzubekommen. Der Wunsch, Gott durch eine fromme Tat für sich einzunehmen. Ist das nicht genau die Mischung aus Aberglauben und Leistungsdenken, die Luther zur Reformation getrieben hat? Auch viele Katholiken haben sich mittlerweile von solchen Gedanken verabschiedet.

Aber wir waren schon nicht mehr frei. Die Aussicht, von der Dortmunder Innenstadt bis an die Enden Europas zu wandern, hatte uns gefangen. Deshalb benutzten wir einen sprachlichen Trick, um die Gedanken an ein frommes Werk beiseite zu schieben: Wir mussten uns ja nicht Pilger nennen. Wir konnten ja sagen, wir machen eine Wanderung durch lauter wunderbare Städte und Gegenden: Paris, Südfrankreich, die Pyrenäen und Galizien.

Wir gingen los, und nach sechs Etappen erreichten wir Köln. Die Freude am Wandern war groß, den Rhein zu erreichen ein Erlebnis. Doch nun begann die Fremde: Wir wechselten auf linksrheinisches Gebiet! Für Westfalen das erste Ausland. Und wie man es erwartet: Auf Anhieb wurden die Markierungen spürbar schlechter.

Und die Art der Leute änderte sich. Wir hatten Köln noch nicht verlassen, schon begann jedermann uns zu grüßen. Wenn wir uns über die Karte beugten, um den rechten Weg zu suchen, kam garantiert von irgendjemandem die Frage: „Kann ich Ihnen helfen? Sie sind doch sicher Jakobspilger.“ „Ja,“ sagten wir, erst etwas zögerlich, dann immer selbstverständlicher.

Und dann passierte unser erstes Wunder. Es war in Widdersdorf, um die Mittagszeit. Obwohl wir diesmal gar nicht in der Karte lasen, fragte ein Mann von rechts: „Sind Sie Jakobspilger?“ Wir bejahten, schon ohne zu zögern. „Dann kommen Sie rein, wir haben ein Mittagessen für Sie.“ Es gab köstlichen Fisch, dazu Käse und Oliven aus Griechenland. Und am Ende schenkten unsere Gastgeber meiner Frau eine herrliche Jakobsmuschel.

Es scheint unausweichlich: Zum Pilger macht man sich nicht selbst, man wird dazu gemacht. Vielleicht kann man sogar sagen: Man wird dazu berufen.

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