Der evangelische Rundfunkbeauftragte beim WDR

10.11.05, 8.56 Uhr, Angelika Obert

Laternenumzüge: Das Licht in mir

Einen Preis für die schönste Laterne hätte ich nie gewonnen. Im Gegenteil: Mit Schere und Klebstoff stand ich als Kind auf Kriegsfuß. Die Fische, die ich aus der

schwarzen Pappe schneiden sollte, wurden nie schön rund. Das Buntpapier klebte nie faltenfrei. Und die Kerze wollte auch nicht fest und gerade stehen.  Ich kann auch nicht behaupten, dass ich die Martinsumzüge sehr genossen hätte. Füße und Hände wurden doch ganz schön kalt an den feuchten Novemberabenden und immerzu gab es Probleme mit der Kerzenflamme. Trotzdem – irgendwie war das Ganze doch ein Fest, wenn wir Kinder in der Stadt so sichtbar wurden: ein langer Zug von leuchtenden Wesen.

Heute ist meine Freude ungetrübt, wenn ich die Purzel sehe, die in kleinen Rudeln mit ihren Laternen um die Häuser ziehen. In Berlin, wo ich jetzt wohne,  ist ja vieles anders als zu meiner Kinderzeit in Bonn. Die echten Martinslieder kennt man hier gar nicht. Stattdessen singen die Kinder oder vielmehr ihre Erzieherinnen das alte, schlichte Laternenlied aus Norddeutschland: „Ich geh mit meiner Laterne und meine Laterne mit mir. Da oben leuchten die Sterne, hier unten leuchten wir...“ Wenn ich das höre, wird mir aber auch warm uns Herz: „Hier unten leuchten wir.“ Es sieht nicht nur hübsch aus, denke ich, es hat schon auch eine tiefere Bedeutung, wenn die Kinder einmal im Jahr mit ihren Laternen demonstrieren gehen.

Die Laterne ist dann ein Zeichen, ein Symbol für das Licht, das jedes Menschenkind mitbringt, wenn es auf die Welt kommt. Bei kleinen Kindern ist diese Leuchtkraft ja noch sehr spürbar: In der Zuversicht, mit der sie ihre ersten Schritte tun, in dem Vertrauen, das sie ihrer Umwelt entgegenbringen, in ihrer Entdeckerfreude – nicht umsonst sind die ganz Kleinen immer wie Mini-Sonnen, an denen sich die ganze Familie erwärmt.

 Dieses Helle und Warme, das die Kinder ausstrahlen – das ist, glaube ich, das Licht, das von Gott kommt, der jeden kleinen Menschen mit der Gewissheit auf die Erde schickt: So wie du bist, so bist du auch gewollt. Mein Licht wird dich begleiten und es wird durch deine Eigenart hindurchschimmern – wie die Kerzenflamme durch die Laterne „Hier unten leuchten wir“: Die Kinder, die nun schon nicht mehr ganz klein sind, stiefeln durch den dunklen Novemberabend und zeigen uns Erwachsenen: Hier sind wir – lauter Lichtfunken, die Gott auf den Weg geschickt hat. Noch voller Hoffnung, voller Zuversicht, voller Vertrauen.

Aber schon pustet ihnen der Novemberwind ins Gesicht und in die Kerzenflamme – schon stellt sich heraus: So einfach ist das mit dem Leuchten in dieser Welt gar nicht. Heute und morgen Abend wird es zwar viele Mütter und Väter geben, die geduldig mit den Kerzen in den Laternen ihrer Kinder kämpfen – und das Licht immer wieder anzünden. Aber werden sie in ein paar Jahren auch so geduldig sein, wenn es in der Schule nicht so läuft wie gewünscht?  Wie viele Kinder, die heute ihre Laternen durch die Straßen tragen, werden bald das Gefühl haben, das ihr Licht eigentlich gar nicht gefragt ist? Dass sie besser daran tun, das empfindliche Gotteslicht gleich auszupusten, weil man sich mit gelöschtem Licht viel schneller nach vorn boxen kann?

Wer schützt das Licht der Kinder? Das können doch nur Erwachsene sein, die sich ihr inneres Licht bewahrt haben. Die nicht ängstlich und nervös immer nur auf die Erfolge gucken, die abgeliefert werden müssen. Erwachsene, die sich von Enttäuschungen nicht verdunkeln lassen und den Kindern vormachen, wie man in einer dunklen Welt hell und freundlich bleiben kann.  Wie steht es eigentlich mit dem Licht in mir? 

Audiobeitrag Laternenumzüge: Das Licht in mir


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