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Religion und Ehebruch
Ich gebe Religionsunterricht in einer Berufsschule. In einer Klasse mit Auszubildenden des Glaserhandwerks gehts im Unterrichtsgespräch wieder einmal um die Frage,
ob Religion den Menschen denn noch was zu sagen habe.
Oliver, 19 Jahre alt, fasst seine Erfahrungen so zusammen: Die meisten Leute kennen doch gar nichts mehr von ihrer Religion. Und wenn, dann halten se sich nicht dran. Für viele Auszubildende ist Religion, so wie sie sie verstehen, nur eine Summe von Geboten und Regeln. Und wenn man die Gebote nicht sinnvoll findet, kann man auch nicht religiös sein. So meinen sie.
Roman will das an einem Beispiel klarmachen: Kucken se mal sagt er zu mir, die 10 Gebote. Ich kenn die jetzt auch nicht alle, aber da ist doch eins, dass man nicht die Ehe kaputtmachen soll. Also Scheidung. Ehebruch. Gut, räumt er ein, das mit dem Töten und dem Stehlen, das ist ja ganz OK, steht ja auch noch in unseren Gesetzen. Aber das mit der Ehe das ist doch völlig veraltet!
Ich erkläre: damals sollten Gebotedas gesamte Leben von Menschen begleiten und ein Zusammenleben möglichst ohne Leid und gegenseitige Verletzungen ermöglichen. Und dass vor allem die Frauen vor 3000 Jahren nach einer Trennung sozial gar nicht abgesichert waren und auch deshalb mutwillige Scheidungen verhindert werden sollten.
Roman lässt jetzt abstimmen: Wer hier in der Klasse hat geschiedene Eltern Aufzeigen!? Zweidrittel der anwesenden Schüler heben den Arm. Triumphierend sagt Roman in meine Richtung: Sehense und da sollen wir uns noch an so alte Gebote halten?
Ich versuche das Nachdenken anzutreiben: Ein Gebot, eine Lebensregel, ein sinnvoller Hinweis kann doch auch dann richtig sein, wenn sich nicht jeder dran hält. Oder sogar keiner.
Einige nicken, Martin wird jetzt konkret: Mein Vater hat unsere Familie verlassen. Aber verlassen müssen, betont Martin, weil er wegen seiner Sauferei öfter gewalttätig geworden ist - und da habe sich seine Mutter schließlich scheiden lassen.
Motiviert durch Martins Offenheit, erzählt jetzt auch Alexander, Also OK, mein Vater hat sich von meiner Mutter geschieden, weil er ne Andere hatte. Die war auch verheiratet, aber die Alte war jünger. Da war meine Mutter nicht mehr gut genug. Nach sechs Monaten war mit der Neuen auch schon wieder Schluss! Meinem Vater hätte man besser vorher mal klargemacht, was er mit seiner Aktion alles kaputtmacht.
Die Schüler kombinieren: Manchmal ist es für Menschen furchtbar, wenn Liebesbeziehungen oder Ehen kaputtgehen. Oder kaputtgemacht werden. So wie bei Alexanders Vater, der aus einer Ehe aus- und in eine andere einbrach. Manchmal ist furchtbar, aber trotzdem auch für alle Beteiligten besser, wenn zwei, die sich nicht mehr lieben können oder wollen, ihre Beziehung beenden. So wie bei Martins Eltern.
Niklas versucht ein Fazit zu ziehen: Gebote gibts, damit die Menschen sich nicht so leicht gegenseitig verletzen. Aber manchmal muss man sich nicht dran halten, wenns dann noch schlimmer würde so wie inner Ehe ohne Liebe.
Dann ist die Stunde zu Ende und ich mache mich auf den Weg in die nächste Klasse. Unterwegs denke ich: Schön, dass die alten Gebote immer noch zum Nachdenken über das eigene Leben einladen. Und zu verantwortlichem Handeln anregen.
Von da ist es dann zu dem, was Religion will, nicht mehr weit: Menschen zu einem verantwortungsbewussten Leben ermutigen.
Religion und Ehebruch
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