Allerheiligen
Wenn einer stirbt, was bleibt dann von ihm zurück? Kalzium, Kohlenstoff, etwas Phosphat? Irgendwann war das ein Mensch. Mit Träumen und Hoffnungen, mit einer Geschichte.
Der christliche Festkalender würdigt dies mit einer Reihe von Feiertagen, die eine Erinnerungskultur wachhalten.
Heute ist Allerheiligen. Katholische Christen gehen zum Friedhof, schmücken die Gräber ihrer Angehörigen, stellen ein Lichtlein auf. Allerheiligen ist der Vorabend von Allerseelen. Deshalb wird an Allerheiligen nicht nur der sogenannten Heiligen gedacht, sondern eben aller Seelen. Was eine protestantischen Seele natürlich freut. Ist doch aus evangelischer Sicht jeder Mensch heilig.
Ein katholischer Priester erzählte mir, wie er an Allerheiligen nachmittags über den Friedhof geht und die Gräber aufsucht, an denen Angehörige stehen. Er besprengt die Gräber mit Weihwassser. Nicht - wie man einst glaubte - um die Seelen der Verstorbenen im Fegefeuer zu kühlen. Sondern um sie zu segnen. Als Ausdruck von Dankbarkeit und Wertschätzung.
Ich finde das auch als evangelischer Pfarrer gut, weil das gibt den Gedanken und Gefühlen eine Richtung: Die Beziehung zu dem Verstorbenen ist gesegnet. Wer am Grab steht und sich mit Fragen quält, darf wissen: Das Ungeklärte ist geklärt, das Versäumte vergeben, das Unerfüllte verwandelt.
Stellt sich allein die Frage: Wie ist es um solcherlei Erinnerungs-riten bestellt in einer Zeit sich wandelnder Bestattungskultur? Anonyme Beisetzungen verändern das Bild der alten Friedhöfe - Rasenfelder ersetzen die traditionellen Familiengräber. Neue Bestattungs- und Trauerorte kommen hinzu: Friedwälder, wo die Asche von Verstorbenen neben einem Baum bestattet wird, oder Aschestreuwiesen, auf denen die Überreste einer Person im Wind verfliegen.
Ich bin der Ansicht: Man schlachtet keine heiligen Kühe, wenn Kirche sich der gewandelten Kultur anpasst. Veränderte Bestattungsformen erfordern veränderte Riten. Was aber unaufgebbar ist: Eine Kultur der Erinnerung zu wahren. Der Anonymisierung eine Würdigung der Persönlichkeit des Einzelnen gegenüberzustellen. Der Flüchtigkeit des Vergessens ein Festhalten am Gedenken.
Deshalb sind Feiertage wie Allerheiligen oder der protestantische Ewigkeitssonntag für unsere Gesellschaft so wichtig. Ob der Geistliche seinen Segen in der Kirche, am Grab, im Friedwald oder auf dem anonymen Gräberfeld spricht - wesentlich ist der Segen selbst. Als unverzichtbares Zeichen der Würdigung und Wertschätzung. Der Segen hält daran fest: Jeder Mensch bleibt in seiner Einzigartigkeit bei Gott bewahrt.
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