Der evangelische Rundfunkbeauftragte beim WDR

09.10.05, 10.00 Uhr, Präses Alfred Buß

Erntedank: Alles, was Gott geschaffen hat, mit Dank empfangen. Alles?

Denn alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird; denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet.

Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut... Vor einer Woche haben wir Erntedank gefeiert. Hier im Naturpark Ebbegebirge kennt man noch die natürlichen Kreisläufe und weiß, dass die schöne Landschaft der Pflege und Fürsorge bedarf. Und doch ist auch hier die Landwirtschaft in einen Rahmen eingezwängt, der Fragen aufwirft. Ein Landwirt nennt uns seine Gedanken zur Ernte im Jahr 2005:

Was heißt Ernte-Dank?

Früher war das klar: Dank für die Erträge des Jahres,
mit denen man Menschen und Tiere des Hofes sicher über
den Winter bringen konnte.

Aber heute sind Bauern leider immer mehr von anderen
Dingen als nur vom Wetter abhängig:
- sind alle Anträge richtig ausgefüllt?
- gibt es trotz immer neuer Auflagen und Verordnungen
  noch Entwicklungsmöglichkeiten für meinen Betrieb?
- wie wirkt sich die weitere Liberalisierung des Welt-
  handels für die Landwirtschaft aus?

Wem sage ich heute DANKE und wofür?

Es ist heutzutage schwierig geworden, Danke zu sagen. Aus der Sicht eines Kaufmanns sieht das so aus:

Die Verbraucher sind gewohnt, zu allen Jahreszeiten Gemüse und Obst kaufen zu können, das bei uns nur in bestimmten Zeiten reift.
In aller Welt kaufen wir dafür ein. Aber die langen Transportwege belasten Klima und Umwelt. Die Qualität der Nahrungsmittel leidet. Geschmackliche Nachteile müssen in Kauf genommen werden.
Es lohnt sich daher, auf Lebensmittel zu achten, die aus der Region kommen.

In den Lebensmittelmärkten gibt es keine Jahreszeiten mehr. Erdbeeren zu Weihnachten, Transporte rund um den Globus – extra für Sie frisch eingeflogen – dazu die Frage: Was an meiner Umwelt ist überhaupt noch natürlich? Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut... Doch was hat Gott geschaffen? Ich sehe um uns herum eine Welt, die durch und durch von Menschen gestaltet ist. Bis in die kleinsten Verästelungen hinein trägt die Erde unsere Handschrift. Soll ich denn für alles dankbar sein?
Auch für genveränderte Tomaten, für vergiftete Schnittblumen aus Kolumbien und für geklonte Tiere? Ist Gott hinter all’ dem, was wir aus der Schöpfung gemacht haben, nur noch der letzte Verursacher? Lautet das Glaubensbekenntnis unserer Tage nicht längst:

Alles, was der Mensch geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was dem Erkenntnisfortschritt dient, denn er wird geheiligt durch den gehobenen Lebenstil und durch ein bequemeres Dasein?

Das Danken ist schwierig geworden. Eine Hausfrau schildert ihre Sicht.

Natürlich würde ich gerne gesunde Lebensmittel von gesunden Böden verwenden. Das, was ich koche, was ich mit Liebe und Sorgfalt zubereite, sollte mir das wert sein. Allerdings muss ich auch auf das Geld achten. Ich kann es mir nicht immer leisten, auf die billigen industriell hergestellten Lebensmittel zu verzichten. Leider!

Während unsere Großeltern noch die Früchte des Feldes sammelten und sie einweckten, einlegten und einkellerten, konkurrieren heute große Lebensmittelketten mit dumping-Preisen um die Marktführerschaft. Milch zum Beispiel wird zu Preisen verkauft, zu denen Bauern sie gar nicht anliefern können, Lebensmittel werden buchstäblich verramscht. Ein Stück Brot, ein Glas Milch, einen Sack Kartoffeln oder ein Stück Fleisch – offenbar ist das nichts mehr, was wir wertschätzen müssten. Dabei sind doch Äpfel, Spinat oder Fisch keine tote Materie, sondern selber Teil des Lebens.

Woher eine Salami kommt, wo und wie das Tier gelebt hat, ist im Wortsinne Wurscht, wenn Ferkel zum Beispiel nur noch Zuchtmaterial heißen. Erst Rinderwahnsinn oder Schweinepest lassen uns dann wieder zurückverfolgen, auf welchem Weg ein Stück Fleisch zu uns kam.

Aber es war immer schon schwierig, Gott für die Schöpfung Dank zu sagen. Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut und nichts verwerflich... Auch das Unwetter nicht, wenn die Ernte buchstäblich verhagelt, der späte Frost nicht, die verheerenden Heuschrecken nicht oder das Erbeben? Alles nur gut? Auch der Tsunami und der Hurrican über New Orleans? Ist die Schöpfung einfach nur gut? Oder ist das Naturromantik pur?

Zur Schöpfung gehören doch auch Leiden und Sterben, Fressen und Gefressenwerden, Erschütterungen und Katastrophen. Ehrliche Theologie muss eingestehen, dass es keine glatte Antwort gibt auf die Frage, warum der Tsunami zu Weihnachten 2004 so viele Menschen in den Tod riß und warum das so oft gerade die Ärmsten traf... Manches daran können wir erklären, die Ursachen benennen und vor Augen führen, was der Anteil des Menschen an dieses Katastrophen ist. Aber Leiden lässt sich im Tiefsten nicht verstehen. Leiden bleibt im Dunkel und gibt Anlass, Gott klagend in den Ohren zu liegen.

Und zynisch redet jeder, der zu wissen meint, es handle sich bei solchem Unglück um ein Strafgericht Gottes. Dagegen steht Gottes Verheißung. Seit Noahs Tagen haben wir sie im Ohr: Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen; denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf. Und ich will hinfort nicht mehr schlagen alles, was da lebt, wie ich getan habe. Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.

Unter dieser Verheißung aber ist auch wahr, was der Apostel Paulus schreibt: Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet...Das ängstliche Harren der Kreatur wartet  darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden (Römer 8, 19.22) Alles ist nicht einfach nur gut. Die ganze Schöpfung harrt und hofft auf Erlösung und Vollendung.


II
Denn alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird... Wie ist das zu verstehen?

In wohl allen Religionen gab und gibt es Menschen, die die Welt einteilen in Gut und Böse. Vom Bösen hält man sich möglichst fern, dann ist man auf der guten Seite. Mit solchem Denken setzt sich der 1. Timotheusbrief hier auseinander. Es gab offenbar Leute, die warnten vor dem Genuss bestimmter Speisen und verwarfen auch Ehe und Sexualität. Dem hält der Timotheusbrief entgegen: Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut. Es kommt darauf an, wie wir mit den Schöpfungsgaben umgehen. Es kommt darauf an, in welcher Beziehung wir zu ihnen stehen. Nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird. Was hier mit Danksagung wiedergegeben wird, meint kein förmliches Danke für die Blumen. Vielmehr: Kannst du das, was du empfängst, aus vollem Herzen dankbar gutheißen?

So kann z.B. ein frommer Jude kein Stück Brot essen ohne zuvor darüber eine Broche, wie es im Jiddischen heißt, ohne darüber einen Segen zu sprechen. Wird dadurch aus einem profanen Stück Brot ein besonderes, ein heiliges Brot?  Natürlich nicht. Wer betet, dankt dem Geber aller Gaben. Er bittet um Erlaubnis, das, was dem Schöpfer gehört, auf den Tisch legen und als Mittel zum Leben gebrauchen zu dürfen. Es geht also um die innere Verbindung unseres Lebens mit dem Schöpfer im ganz Alltäglichen. Es geht um unser Lebensgespräch mit Gott.

Spüren wir, welche Ehrfurcht vor dem Leben und welche Ehrfurcht vor Gott darin liegen? Und spüren wir auch, welche andere Beziehung wir zu unserem Warenkorb haben? Ist noch – auch nur entfernt – erkennbar, dass ein fast-food-burger etwas mit einem getöteten Lebewesen zu tun hat? Wie sollen wir, wenn wir die Gabe schon nicht mehr erkennen, noch einem Geber danken? Wie der Strom aus der Steckdose kommt, so kommt das Fleisch eben von der Theke.

Wenn ich das, was ich empfange, nicht mehr dankbar gutheißen kann, dann wird aus der Speise oder der Sexualität schnell ein Wegwerfartikel. Dann wird daraus ein im Wortsinne verwerflicher Artikel, mit dem ich mich vielleicht sogar selber wegwerfe. Verwerflich ist das Gegenteil von dem, was dankbar gutgeheissen werden kann. Ohne diese Haltung verderben lebendige Beziehungen. Zu Lebewesen verhalten wir uns dann wie zu toten, käuflichen Dingen. Geschöpfe werden Sachen. Ehe und Partnerschaft werden zu Zweckbündnissen. Der Schöpfer und Erhalter allen Lebens wird ein Relikt aus vergangener Zeit. Wert hat nur noch das, was sich verwerten lässt. Und mit den verderbenden Beziehungen verdirbt das eigene Leben. Irgendwann wird leise geflüstert: vielleicht lohnt sich alles gar nicht. Und die Sehnsucht wird groß nach einem guten Wort über unser Leben, nach einem Wort, das unser Leben nicht ins Leere gehen lässt.
Denn alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird; denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet.

Unser Leben steht unter dem guten Wort der Verheißung, dass wir in Christus zu Gott gehören, was immer geschieht. Das spüren wir ganz intensiv, wenn wir aufhören, unser Leben isoliert von unseren Mitgeschöpfen und isoliert von Gott zu führen. Wir spüren, dass unser Leben nicht in die Leere geht, wenn zu jedem Tag das Gebet, unser Lebensgespräch mit Gott gehört.

Was das bedeuten kann, ist mir vor einigen Jahren klar geworden, als ein ganzes Dorf das Musical Anatevka auf die Bretter brachte. Nachdem der letzte Vorhang gefallen war, besuchte mich, der den Tevje gespielt hatte und sagte: die Rolle hat mein Beten verändert. Ich rede jetzt mit Gott wie Tevje, wo ich geh und steh. Ich staune und sage: das hast du gut gemacht, Gott! Oder ich liege ihm in den Ohren und sage: das kann doch nicht so bleiben!

Denn alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird; denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet. Darin bewahre Euch der Friede Gottes, der so viel höher ist als unsere Vernunft. Amen


 

 


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