Der evangelische Rundfunkbeauftragte beim WDR

30.11.05, 8.05 Uhr, Hans-Dieter Osenberg

Evangelisch - und sich nicht schämen

So viel Papst wie dieses Jahr war nie. Schon nach der Beisetzung von Johannes Paul II schrieb die Berliner „Tageszeitung“ – salopp, wie es ihre Art ist:

 „Diese Inszenierung einer Leiche, das kriegen nur die Katholiken hin. An die Massenmedien hat Luther damals leider nicht gedacht, sonst hätte er sich die Sache doch noch mal anders überlegt.“

Sollen wir’s uns anders überlegen?
Fragen wir heute, kurz vor dem Reformations-Gedenktag. Nein, sollen wir nicht! Wir wollen den katholischen Christen gute Geschwister sein. Aber wir haben begründeten Anlass, eine päpstliche, priesterliche, männliche, marianische Kirche nicht für unsere Sache zu halten.

Guten Morgen, meine Damen und Herren. Ich bin Hans Dieter Osenberg und leben als evangelischer Pfarrer im Ruhestand in Saarbrücken.

Musikalisch begleiten uns bei dieser Sendung frühe Lieder des Pietismus. Originell und frisch musiziert von der Lautten-Compagney Berlin.


MUSIK  I: „Singet dem Herrn, nah und fern“
                 

Sprecher:
„Ich rede von Deinen Zeugnissen vor Königen und schäme mich nicht.“

Dieses Wort aus Psalm 119 steht über der berühmten „Augsburgischen Confession“, die vor 475 Jahren die Lutherischen dem deutschen Kaiser Karl V. überreichten. Der hatte eigentlich gehofft, auf diesem Reichstag, 9 Jahre nach Luthers Verurteilung, den Graben zwischen Wittenberg und Rom wieder zuschütten zu können.

„Und schäme mich nicht“.
Das gilt auch heute. Denn mit den eigenen Standpunkten hinter dem Berg zu halten, befördert die Ökumene keineswegs. Wer gewissenhaft aus der Heiligen Schrift seinen Weg erkannt hat, der rechnet damit, dass er mit Gott auch Andersdenkende überzeugen kann.

Lassen wir einmal beiseite, was sich dabei heute schnell in den Vordergrund schiebt: das gemeinsame Abendmahl und die Frauenordination. Fragen wir stattdessen, was nach evangelischem Verständnis die Kirche ist und was nicht.

Eine erste Klärung:
Ein Christ, der glaubt, erfährt sich immer als Gerechter und Sünder zugleich. Christus holt mich definitiv auf seine Seite, unwiderruflich. Und gleichzeitig erfahre ich an mir, wie die Sünde mich ebenso beansprucht. Ein fortgesetzter Kampf bis zum Tod, in dem die Sünde freilich immer schon verloren hat.

Aber das kann ja nicht nur den Einzelmenschen betreffen. Die gesamte Kirche mit ihrer Geschichte und Tradition, mit ihren Ämtern und Handlungen, ihrem Sakramenten und ihrer Liturgie, mit ihren Pastoren und Bischöfen: sie ist gerecht und schuldig zugleich. Von Christus geheiligt und beauftragt, sieht sie sich zugleich über und über mit Mängeln behaftet.
Sprecher:
 „Es gibt keine größere Sünderin, als die christliche Kirche“.
Originalton Martin Luther.

Die deutsche Kirchengeschichte von 1933 bis 1945 , beschämend für Protestenten wie Katholiken gleichermaßen, macht das sehr anschaulich.

Doch die Katholische Kirche kann sich so nicht sehen. Nie ist so ganz klar, ob da überhaupt noch eine Distanz ist zwischen Christus und der Kirche. Ob nicht die Kirche so etwas ist wie die Fortsetzung der Fleischwerdung Christi in der Geschichte. Nie wird so ganz klar, was eigentlich die Vollkommenheit bedeutet, die dieser Kirche allein vorbehalten sei und an der die so genannten getrennten Brüder keinen Anteil haben.

Das Fernsehen, das ja auch aus unvollkommenen Menschen Stars macht und eine solche Kirche ziehen sich gegenseitig ungeheuer an. Deshalb wurde in diesem Jahr auf dem Bildschirm der Papst zum Idol und seine Kirche zur Ikone. Was wir auf dem Petersplatz in Rom und auf dem Marienfeld in Köln gesehen haben, das ist sozusagen in dieser Kirche von Grund auf angelegt.

Eine zweite Klärung:
Alle Getauften, Frauen und Männer, beteiligt Christus an seinem priesterlichen Amt. Sie bezeugen, dass wir aufgrund seiner Liebe Gottes Töchter und Söhne sind, seine Amtsträgerinnen und Amtsträger in der Welt. Mit diesem allgemeinen Priestertum aller Glaubenden steht und fällt die Kirche genau so wie mit der Rechtfertigung aus Gnaden. Darauf müssen wir bestehen.

Noch einmal Martin Luther:
„Alle Christen sind wahrhaftig geistlichen Standes. Denn was aus der Taufe gekrochen ist, das kann sich rühmen, dass es schon zum Bischof und Papst geweiht sei, obwohl es nicht jedem ziemt, solches Amt auszuüben.“

Sozusagen ein Gegenbild zu der Messe beim Weltjugendtag, wo Papst, Kardinäle und Bischöfe hoch über dem Volk unter einem Lichthimmel agierten.

Reformatorische Christen widersprechen also der Meinung, Christus gebe sich nicht allen, sondern er gebe einzelnen Privilegien. Und zwar nur Männern. Es bestehe also ein Unterschied zwischen Priestern und so genannten Laien. Richtig ist, dass es kein wildes Durcheinander auf Kanzeln und an Altären geben kann. Um der Ordnung willen werden einzelne beauftragt, öffentlich zu predigen und das Sakrament zu spenden oder auf Zeit eine leitende Funktion wahrzunehmen.

Der Weltjugendtag hat auch etwas Verhängnisvolles gezeigt: Eine priesterlich-hierarchisch geordnete Kirche, die einen einzelnen Manschen als „Stellvertreter Christi“ an die Spitze stellt, kann einem Personenkult gar nicht wehren. Denn die typischen Gesetzmäßigkeiten in einer Masse sind stärker, als ein noch so bescheidenes päpstliches Auftreten.


MUSIK II: „O du Herzog meiner Liebe“
                  

Die Kirche. Was sie ist und was sie nicht ist.

Eine dritte Klärung
Die Autorität der Apostel ist übergegangen in die Schriften des Neuen Testaments und alle Glaubenden sind grundsätzlich befähigt, sie auszulegen. Stellvertretend für sie tun das diejenigen, die öffentlich mit Predigt und Lehre beauftragt sind. Wenn bestimmte Situationen dazu herausfordern – beispielsweise im Kirchenkampf unter dem Nationalsozialismus – verdichtet sich das auch zu einem grundlegenden Bekenntnis. Wer immer die Schrift auslegt und danach lebt, steht in Apostolischer Sukzession, in der Nachfolge der Apostel.

Damit verwerfen wir die katholische Lehre, die Autorität der Heiligen Schrift sei nicht genug. Es könne nur ein Lehramt in Person verbindlich die Schrift erklären. Nur bischöfliche Vollmacht, weiterverliehen durch die Zeiten auf sakramentalem Weg, könne apostolische Wahrheit formulieren. Daher sei die römische Kirche also als Interpretin und Hüterin einer allgemein gültigen Lehre.

Damit aber, so sind wir überzeugt, wird die Bibel eingemauert. Sie kann sich nicht mehr kritisch, auch der Kirche gegenüber, zu Wort melden.

Eine vierte Klärung:
Die Gemeinschaft der Heiligen, so sagt es Dietrich Bonhoeffer, das sind diejenigen, die „in voller Diesseitigkeit des Lebens glauben lernen.“ Alle Glaubenden also, im Lernen, im Scheitern, im Wachsen – sind Heilige, und sie treten im Neuen Testament immer nur als Gemeinschaft auf, nie aber als Einzelne.

Evangelische Christen müssen deshalb die Praxis der Heiligsprechung Einzelner ablehnen, weil hier Heiligkeit als eine höhere Stufe des Glaubens betrachtet wird

„Santo subito!“ (Sofort heilig sprechen!“) rief das Volk bei der Beisetzung Johannes Paul II. Und prompt , lieferte am nächsten Tag die BILD-Zeitung die Begründungen, die dazu erwartet werden. Sie titelte: „Geheime Papstwunder: Blinde kann wieder sehen. Gelähmte kann gehen. Junge im Rollstuhl spielt Fußball. Krebskranke geheilt“

Zwischen solchen Vorstellung und der „Gemeinschaft der Heiligen“ in unserem Glaubensbekenntnis ist eine tiefe Kluft.


Und schließlich eine letzte Klärung:
Maria, die Mutter Jesu, sieht sich selbst als „Magd des Herrn“. Zwar wäre er nicht ohne sie. Aber ohne ihn wäre sie gar nichts. Ihr Glaube macht die Person, nicht umgekehrt.

Das verbietet es uns, Maria – wie es im Zweiten Vaticanum heißt – als „Ursache des Heils“ zu betrachten, als Fürsprecherin und Mittlerin in der Kirche.

Als der schlichte Sarg mit Johannes Paul II. auf dem Petersplatz stand, waren viele davon beeindruckt, dass darauf nur das aufgeschlagene Evangelienbuch lag. Aber eingraviert auf dem Sargdeckel war, verbunden mit dem Kreuz, der große Buchstabe M für Maria. Doch das Evangelium verträgt keine so genannte Mariologie.

„Wir reden von Deinen Zeugnissen vor Königen.“
Was wir hier von diesem Zeugnis gesagt haben, darf uns nicht überheblich machen. Denn kein Kirchengefüge ist davor gefeit, sich absolut zu setzen und sich religiös zu verklären, auch die Evangelische Kirche nicht.

Aber wir haben die katholischen Geschwister doch um Respekt vor unserem reformatorischen Bekenntnis zu bitten. So sehr wir uns auch offen halten müssen für eine Ökumene in versöhnter Verschiedenheit.


Abschließend noch einmal ein Lied des frühen evangelischen Pietismus. Damit verabschiedet sich Hans Dieter Osenberg aus Saarbrücken.


MUSIK III: „Wachet auf, ihr faulen Christen“
      

 

Audiobeitrag Evangelisch - und sich nicht schämen


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