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"Vater verzeih ihr, sie wusste nicht, was sie tat."
Taizé, im Begräbnisgottesdienst für den charismatischen Gründer der ökumenischen Ordensgemeinschaft von Taizé spricht Frère Alois ein Gebet: "Dieu de bonté...
Gütiger Gott, Deiner Vergebung vertrauen wir Ludminica Zolkan an, die durch eine krankhafte Tat dem Leben unseres Bruders Roger ein Ende bereitet hat. Mit Christus am Kreuz sagen wir zu dir: Vater verzeih ihr, sie wusste nicht, was sie tat."
Ja sie wusste sicher nicht, was sie tat. Sie hatte - auf einen der friedlichsten Menschen eingestochen, den die Welt je gesehen hatte. Nicht um zu verletzten, sondern um auf sich aufmerksam zu machen. Wenigstens sagte sie das hinterher Damit hatte sie eine Glaubensgemeinschaft ihrer Mitte beraubt. Niemand kann verstehen, wie das möglich war. Ein Mann, dessen ganzes Leben daraus bestanden hatte, Menschen zu verstehen, sie zu versöhnen, Liebe und Frieden zu predigen, für ihre Nöte sein Herz zu öffnen, wurde im Alter von 90 Jahren Opfer einer sinnlosen Attacke.
In der Stunde des Schmerzes jedoch zeigte seine Gemeinschaft, dass sein Wirken nicht umsonst gewesen war. Sie beteten für die Täterin. Sie wollten nicht, dass durch falsche aber auch verständliche Reaktionen noch mehr von dem zerstört würde, was ihr Gründer und geistlicher Vater aufgebaut hatte. Und sie bekräftigten in der Stunde der Trauer die Freundschaft zum Volk der Attentäterin, um jede Form von Feindschaft und Feindseligkeit innerhalb der so internationalen Anhänger und Freunde Taizés als Folge dieses menschlichen Dramas auszuschließen.
Guten Morgen liebe Hörerinnen und Hörer, mein Name ist Thomas Thilo, ich bin evangelischer Pfarrer in Münster und ich bin seit langem von dem beeindruckt, was die Brüder von Taizé zu leben versuchen.
Musik
Ein intensives Leben in der Nachfolge Jesu, das versuchen viele Menschen, die sich der Botschaft von Taizé verpflichtet fühlen. Diese Botschaft schließt nicht nur das Bemühen um Nächstenliebe ein, sondern will das Netz freundlicher Menschenliebe auch dem in welcher Weise auch immer zum Feind gewordenen Menschen nicht entziehen. Gelingt das nur den Mönchen?
Ich lernte einen Jungen kennen, der es damit auch sehr ernst nahm. Ganz so, wie Jesus es scheinbar forderte, hielt er den Kameraden, die ihn schlugen auch die andere Seite hin, statt sich zu wehren und zurückzuschlagen. Er wollte Zeichen des Friedens setzen, aber daraus folgten Demütigungen seiner Würde, die mir den Magen umdrehten. Bestieg er den Schulbus, war sein Gang zu seinem Sitz ein Spießrutenlaufen. Kinder können grausam sein, aber eigentlich geht es ihnen nur um Herausforderungen, die einmal entsprechend beantwortet alles klar machen. Bleibt die Antwort aus, werden sie neugierig und versuchen herauszufinden, wann der Damm wohl bricht. So wurde er also auf seinem Gang von allen Seiten getriezt, ein Klaps hier, ein Zug an seiner Schultasche dort, kaum einer, der es nicht jeden Tag wieder versuchte. Er aber war ein christlicher Held und ließ sich nicht provozieren.
Ich wollte ihm empfehlen, es anders zu machen. Sich gegen Hänseleien zu wehren, ist in meinen Augen kein Akt von Feindseligkeit, sondern kann im Gegenteil auch ein Angebot zu einer Kameradschaft auf Augenhöhe sein. Für ihn und seine ganze Familie aber war das Verrat an der Sache Jesu, an der Sache des Friedens. Ob das seine Kameraden inzwischen verstanden haben? Vielleicht haben sie sich irgendwann zu schämen begonnen, vielleicht aber nahmen sie es ihm auch übel, dass er ihre harmlosen Anbändeleien so ernst genommen hat und sie damit in eine gar nicht beabsichtigte Rolle von Übelwollenden gedrängt hat.
Auch in Auseinandersetzungen unter Erwachsenen kann es besser sein, sich gegen ungerechtfertigte Kritik und unüberlegte Angriffe entschieden zu verwahren. Das muss ja bei aller notwendigen Bestimmtheit nicht feindselig geschehen. Ist es nicht geradezu unsere Pflicht, den, der im Begriff ist, ungerecht zu werden, daran zu hindern? So nur treten wir doch nicht nur für unsere eigene, sondern auch für seine Würde ein. Nicht dadurch, dass wir ihn gewähren lassen.
Allerdings sieht Jesus das ganz anders. Er will von uns, dass wir dem, der uns auf eine Seite des Gesichts schlägt auch die andere Seite hinhalten. Und wer uns den Rock stiehlt, dem sollen wir auch den Mantel lassen.
Wahrscheinlich würde es niemandem von uns einfallen so zu handeln. Einem Handtaschendieb noch den Schmuck hinterherwerfen? Einem Fahrraddieb noch das dazugehörende Regencape übersenden?
Was mutet uns Jesus also zu , wenn er uns in seiner Bergpredigt dazu auffordert: Liebet eure Feinde, tut wohl denen, die euch hassen, seid Freund mit jedermann, auch mit denen, die sich wie Feinde euch gegenüber verhalten.
Er wollte auch einem Täter nicht vorenthalten, was er alle Menschen um ihn herum fühlen ließ. Jesus war Philanthrop. Ein Menschenfreund. Menschen abzuschreiben, war seine Sache nicht. Das erfuhren die Gemiedenen, die Gescheiterten, die von sich selbst Enttäuschten, die Ausgegrenzten, die Gefallenen. Er ließ sich von ihnen einladen und setzte sich unter den Augen einer empörten Öffentlichkeit an ihren Tisch, er heilte die Unheilbaren, er sprach den Frevlern Vergebung zu und traute den Verwerflichen ein neues untadeliges Leben zu - was die angeblich so Rechtschaffenen manchmal bis heute nicht verstehen können oder wollen.
Und dann am Kreuz, als er all den Hohn und den Hass seiner Widersacher auszuhalten hatte, bat er unter jener für uns unvorstellbaren Todesfolter: Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun.
Musik
Jesus hat Feindesliebe nicht nur gefordert, sondern auch gelebt. Die Versöhnung, für die er lebte und starb, bot er auch seinen Feinden an. So hat er das Böse mit Gutem überwunden. Warum sollte uns das nicht auch gelingen?
Ein Beispiel, von dem mir ein Freund erzählte. Ein schwieriger Nachbar. Das ist für manche eine schwere Prüfung. Dieser Nachbar hat an den kleinsten Kleinigkeiten etwas auszusetzen. Ständige Beschwerden, mit großem Ärger und manchen Drohungen von ihm vorgetragen. Keine Begegnung mit ihm, in der nicht der eigene Puls nach oben geht. Aber nach einigen schlimmen Auseinandersetzungen erfindet mein Freund einen neuen Weg. Immer freundlich bleiben, einen guten Tag wünschen, sich nach dem Befinden erkundigen und keinen Millimeter von dieser Linie abweichen. Das braucht Geduld und Ausdauer. Aber, so sagt er: Das wirkt. Plötzlich verändert sich etwas. Der freundliche Gruß wird erwidert. Man kommt über andere Dinge ins Gespräch. Es wird.
Aus Amerika wurde berichtet, dass eine ganze Geheimdienstmannschaft den Dienst quittiert hat, weil sie an der Politik ihres Landes entschiedenere Maßnahmen vermisst, um Feindbilder abzubauen. Das einseitige Setzen auf militärische Mittel im Kampf gegen terroristische Angreifer und ihre Unterstützer war in ihren Augen ein fataler Fehler. Dadurch würden Feindbilder nur verstärkt. Gerade bei denen, aus deren Kreisen sich die Attentäter rekrutierten. Wer aber keine Feindbilder abbaut, kann den Krieg nicht gewinnen. Ich behaupte sogar, der will den Krieg offenbar auch gar nicht gewinnen.
Die Max-Planck Gesellschaft hat vor einigen Jahren Opfer von Menschenversuchen in den KZs eingeladen, um sich für die an ihnen verübten Verbrechen zu entschuldigen. Die Täter waren Mitglieder dieser Forschungsgesellschaft gewesen. Eine Betroffene, die infolge dieser Versuche ihre Stimme verlor, wurde in einem Interview dazu befragt. Kann sie vergeben? Sie sagte durch ihr Kehlkopfmikrofon, sie könne nicht für andere sprechen. Niemand könne sich anmaßen, für diese Untaten so etwas wie Vergebung auszusprechen. Aber sie habe erkannt, dass es für ihre Seele notwendig war, sich zu ändern. Der Hass auf die Täter, der Wunsch, sie zu stellen und bestraft zu wissen, vermittelte ihr keine Ruhe. Ihre Seele brauchte zu ihrer Heilung etwas anderes. Sie spürte die Notwendigkeit, auf Vergeltung zu verzichten. Um ihrer selbst willen.
In unserem Gesangbuch findet sich ein Gebet, das von Frauen aus dem Konzentrationslager Ravensbrück formuliert wurde. Es gibt ein beindruckendes Zeugnis christlicher Feindesliebe und ermutigt uns, den Geist einer solchen Haltung in unsere Lebensbezüge umzusetzen. Mit den Worten ihres Gebets verabschiedet sich aus Münster, Pfarrer Thomas Thilo
(Sprecherin): Friede den Menschen, die bösen Willens sind, und ein Ende aller Rache und allen Reden über Strafe und Züchtigung. Die Grausamkeiten spotten allem je Dagewesenen, sie überschreiten die Grenzen menschlichen Begreifens, und zahlreich sind die Märtyrer. Daher, oh GOTT, wäge nicht ihre Leiden auf den Schalen Deiner Gerechtigkeit, fordre nicht grausame Abrechnung, sondern schlage sie anders zu Buche: Lass sie zugute kommen allen Henkern, Verrätern und Spionen und allen schlechten Menschen, und vergib ihnen um des Mutes und der Seelenkraft der andern willen. All das Gute sollte zählen, nicht das Böse. Und in der Erinnerung unserer Feinde sollten wir nicht als ihre Opfer weiterleben, nicht als Albtraum und grässliche Gespenster, vielmehr ihnen zu Hilfe kommen, damit sie abstehen mögen von ihrem Wahn. Nur dies allein wird ihnen abgefordert, und dass wir, wenn alles vorbei sein wird, leben dürfen als Menschen unter Menschen, und dass wieder Friede sein möge auf dieser armen Erde den Menschen, die guten Willens sind, und dass dieser Friede auch zu den andern komme.
Etwa ab letztem Drittel des Gebetes bereits mit Musik unterlegen und dann mit Schluss.
"Vater verzeih ihr, sie wusste nicht, was sie tat."
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