Die Welt als Ganze verstehen Der Gesamtentwurf der Hildegard von Bingen
Zuerst Katrina, dann Rita. Wie kommt, dass zurzeit solche Stürme unsere Erde durcheinander wirbeln? Ist vielleicht doch der Mensch daran schuld? Darüber streiten
zur Zeit die Wissenschaftler.
Im Mittelalter hätte man darauf eine klare Antwort gehabt: Naturkatastrophen sind die Strafe Gottes für menschliches Versagen, besonders für seinen Ungehorsam gegen Gott. So auch für Hildegard von Bingen. Die war Äbtissin im deutschen Südwesten. Sie lebte vor 800 Jahren. Bis heute sind ihre Einsichten und ihr Wissen faszinierend. Für sie hängt alles miteinander zusammen, alles ist harmonisch aufeinander abgestimmt. Es ist der Mensch, der diese Harmonie stört, die Dinge durcheinander bringt, den lebenswichtigen Zusammenhang alles mit allem durcheinanderbringt.
Eine alte Antwort auf neue Fragen: Auch heute fragen wir wieder nach Gesamtzusammenhängen. Welche Wechselkräfte beeinflussen einander in der Natur? Gibt es einen geheimen Bauplan, nach dem alle Pflanzen und Tiere entstanden sind? Und was ist in all dem die Rolle des Menschen? Diese Fragen sind so alt wie die Menschheit. Aber weil sie immer wieder neu gestellt werden, verlieren sie nie ihre Aktualität.
Die Antworten, die Hildegard von Bingen gibt, erfahren zurzeit wieder neue Beachtung. Ob Mensch, Natur oder Gott. Alles hängt mit dem anderen zusammen, sagt sie, wenn sie zum Beispiel den Anfang der Welt beschreibt:
Sprecher : Am Anfang war die Welt in Harmonie und in ihr der Mensch mit sich, mit Gott und der Welt im reinen. Mensch, Erde und Gottheit bildeten ursprünglich drei vollkommene Kreise, die wie Baumkreise ineinander gelegt waren. Die irdischen, kosmischen und göttlichen Kräfte kreisten in mächtigen Strömen umeinander. Dann kam der Sündenfall und der Mensch stellte sich quer zur Schöpfung. Er störte die harmonischen Kreise. Was vorher von Gott gut geschaffen wurde, war jetzt aus dem Gleichgewicht. Winde und kosmische Wechselkräfte konnten jetzt chaotisch wirken. Sorgten für Turbulenzen auch in der Natur. Das Gleichgewicht der Schöpfung war gestört. Mit allen Konsequenzen.
Auch für die Menschen und ihr Wohlbefinden. Denn auch in ihrem Inneren musste jetzt mit Chaos gerechnet werden Und die Folgen waren Depression und Krankheit
Autorin: Die ursprüngliche Harmonie können wir Menschen nur wieder finden, wenn wir das Gesamte verstanden haben, lehrte die erfahrene Ärztin und Naturwissenschaftlerin. Sonst doktern wir nur an den Symptomen herum. An den Wirbelstürmen und Klimaveränderungen. An den persönlichen psychischen Krisen und an den Krankheiten und Seuchen.
Sprecher: Alles ist auf dem Weg. Die Natur, die Zeiten, der Mensch, der sich auf dem Weg verantwortlich entscheidet, auf dem Weg zu Christus. Wenn der Mensch unterwegs auf dem Heilsweg ist, kann er sich seiner ursprünglichen Rolle im Ganzen wieder nähern. Die Mühe lohnt sich. Denn am Ende der Zeiten wird der Mensch wieder mit sich selbst im reinen und im Einklang mit Gott und der Natur. So sind der Weg und das Rad wichtige Heilssymbole in ihrer Theologie: Das Rad als Symbol der ursprünglichen Vollkommenheit und der rollenden Bewegung und der Weg als Spur in eine gute Zukunft.
Autorin. Von Hildegard können wir nach 800 Jahren heute noch lernen: Nur wenn der Mensch die Gesamtsicht hat, kann er in seine ursprüngliche harmonische Rolle im Gesamten zurückfinden. Eine Gesamtsicht der Dinge wie damals, aber mit dem Wissen unserer Zeit könnte sich lohnen. Ein Weltverständnis, das Gott mit einschließt und nicht ausblendet.
Die Welt als Ganze verstehen Der Gesamtentwurf der Hildegard von Bingen
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