Der evangelische Rundfunkbeauftragte beim WDR

10.10.05, 7.50 Uhr, Dr. Gerd Hoeft

Erdbebenkatastrophe

Und wieder hat die Erde gebebt. Und wieder sind Zehntausende tot, verwundet, ohne Dach über dem Kopf, durstig, hungrig, krank. Wieder diese Bilder; Menschen ohne

Hoffnung, sie schreien, weinen und werfen uns, den Unbeschädigten, ihr ganzes Elend vor die Füße.

Ich will von all dem nichts mehr wissen, will mich doch freuen an diesen wunderbaren sonnigen Herbsttagen: Die Natur leuchtet in ihren schönsten Farben. Nein, ich will nichts hören, von einer Erde, die bebt, von Hängen, die ins Rutschenkommen und von ganzen Dörfern die vom Erdboden verschwunden sind.
Nein! Ich will mir nicht vorstellen, wie es ist, unter Schutt begraben zu liegen, will nicht wissen, wie es ist, über Trümmer zu kriechen und nach meinem Kind und meiner Frau zu suchen.

Ach Gott im Himmel, ich habe es so satt, diese ewigen Katastrophen, dieses himmelschreiende Elend. Und kann mich ihm doch nicht entziehen, weil da Fragen sind an mich und meinen Glauben, weil ich auch immer wieder nach Antworten suche in meinem Glauben. Und weil ich mich abgrenzen muss gegen die Sätze, die ich auch schon wieder gehört habe, die immer gleichen Sätze in solchen Situationen: „Die Natur schlägt zurück“ und „Gott straft uns“.

Beide Sätze sind für mich blanker Zynismus, weil er das Elend der Menschen nicht ernst nimmt und weil er Gott nicht ernst nimmt.

Die Natur schlägt nicht zurück. Es ist eine heidnische Vorstellung, als wäre die Natur so etwas wie ein bewusst handelndes Wesen, das sich anschickt, die Menschheit von ihrem Angesicht zu vertilgen, weil wir sie quälen durch  Ausbeutung und Beschädigung.

Nein, liebe Hörerinnen und Hörer: die Natur ist ein Zusammenspiel von Gesetzmäßigkeiten; Erdbeben gehören dazu, wie Vulkanausbrüche und Riesenwellen. Sie gab es, bevor der Mensch auftauchte und wird es geben, solange die Erde besteht. Geheimnissen wir da nichts hinein.

Und diese Gesetzmäßigkeiten wollen andere dann auch noch Gott in die Schuhe schieben, mit denen er uns straft. Was für ein Unsinn! Jesus hat uns doch deutlich gemacht in seiner Botschaft: Gott liebt uns, seine Menschenkinder. Er straft nicht, schon gar nicht pauschal, schon gar nicht im globalen Maßstab und schon gar nicht Schuldige und Unschuldige zusammen. Er lässt den Naturgesetzen seinen Lauf, was wir im Kleinen ja auch verstehen, wenn wir krank werden, einen Unfall haben, sterben müssen. Wir sollten es auch im Großen akzeptieren.

Dennoch ist diese Welt ja nicht gottverlassen. Alle, die wollen, können auch im größten Elend Gottes Nähe und Kraft spüren, eine Nähe, die mich durchhalten lässt, was ich durchhalten muss, die mich trägt, wenn ich längst nichts mehr tragen kann, die es bei mir aushält, wenn ich längst nichts mehr aushalten kann.

Ist das ein Trost für die im fernen Kaschmir? Ich weiß es nicht; ich bete dafür.

Aber uns schreiben diese Katastrophen etwas wichtiges ins Stammbuch: wenn wir nämlich endlich aufhören, die Natur oder Gott dafür verantwortlich zu machen, können wir unsere Verantwortung dem nahen und fernen Nächsten gegenüber wahrnehmen. Statt fruchtlose Spekulationen über irgendwelche Schuldige anzustellen, rufen uns diese Ereignisse, ruft uns die Not der Opfer auf:

Helft, helft jetzt, helft schnell, helft großzügig. Denn um die Opfer geht es, um nichts anderes und darum, ob unsere auch christlich fundierte Nächstenliebe bloßes Geschwätz oder gelebter Glaube ist.
Also helft, wie ihr helfen könnt. Ich bin sicher, diese Bitte der Opfer wird in unserem Land nicht ungehört verhallen. Gott segne Geber und Gaben.

 

Audiobeitrag Erdbebenkatastrophe


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