Krankheit und Schuld
Wer heute krank ist, bekommt meistens selbst die Schuld. Beim Herzinfarkt wurde zuviel geraucht oder zu fett gegessen, das Krebsleiden liegt an unverarbeitetem
Seelenschmerz oder falscher Ernährung und der Schlaganfallpatient hätte mal besser was gegen seinen hohen Blutdruck getan.
Wer heute krank ist, ist selber schuld. So könnte man meinen. statt Trost gibts in unserer Gesellschaft dann schlaue Ratschläge, wie man es das nächste Mal vermeiden kann. Selber schuld, das ist die zynische Antwort unserer Zeit auf Krankheiten, die ja jeden treffen können.
Kein Wunder, wenn die schlauen Ratschläge meistens nur als wenig hilfreich empfunden werden. Denn wer krank ist, braucht normalerweise keine schlauen Tipps, sondern Freunde, die auch mal mitleiden können. Geteiltes Leid ist dann halbes Leid, die mehr oder weniger schlaue Analyse würde das Elend dann eher noch verschlimmern. Doch gerade der unsensible Umgang mit Kranken hat eine lange Geschichte.
Im Altertum wurden Kranke aus der Gemeinschaft ausgeschlossen und über ihre Verfehlungen gegen die Götter spekuliert. Hiob, der Geschundene aus den Alten Testament, wehrt sich vergeblich gegen seine Freunde, die die Schuld seiner Leiden bei ihm selbst suchen: Du wirst schon irgendetwas Böses getan haben, wahrscheinlich willst du es uns nur nicht sagen. Denn wer da schlecht dran ist, der muss auch ordentlich was auf dem Kerbholz haben.
Ein paar Jahrhunderte später bei Jesus lagen die Kranken am Straßenrand, ausgestoßen von ihren Familien, bettelnd zu einem erbärmlichen Leben verdammt. Auch die Gemeinschaft mit Gott blieb ihnen verwehrt. Wer krank war, war Außenseiter auf der ganzen Linie. Jesu Heilungswunder wirkten da wie eine kleine Revolution. Wenn er die Krankheiten der Menschen heilte, verurteilte er damit die feindliche Haltung der Gesellschaft, wenn er Aussätzige und Besessene streichelte und in den Arm nahm ohne Rücksicht auf Reinheitsgebote und anscheinend auch ohne Angst vor Ansteckung.
Von wegen selber schuld. Schon immer haben die Kranken darunter gelitten. Wer den Schaden hat, kann sich auch heute nicht vor gutgemeinten Ratschlägen und schlauen Sprüchen retten. Kranke brauchen zwar auch Tipps zur besseren Ernährung oder Fitness, aber besonders Menschen, die gemeinsam mit ihnen nach Auswegen suchen oder der Kraft, die Dinge so anzunehmen wie sie sind: Krankheit als Teil des Lebens und nicht Teil einer Schuld. Weder einer moralischen, wie sie früher dachten noch einfach eines falschen Lebensstils, wie es heute gern gesehen wird. Denn bei aller Vorsorge bleibt Gesundheit ein Geschenk.
Jesus gab den Kranken ihre Würde wieder. Und auch heute darf sie keinem Menschen genommen werden - weder durch Krankheit noch durch schlaue Ratschläge.
Krankheit und Schuld
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