Der evangelische Rundfunkbeauftragte beim WDR

11.10.05, 5.56 Uhr, Julia Neuschwander

Wandert die Seele mit? Organverpflanzungen

Eine Vegetarierin hat auf einmal Heißhunger auf blutige Steaks. Eine Liebhaberin klassischer Musik steht seit neustem auf Rap.

Und ehemalige Fußballfans finden ihr früheres Hobby nur noch fade und abgeschmackt.

Bei Organverpflanzungen sind Ärzte und Psychologen auf ein merkwürdiges Phänomen gestoßen: Es soll Empfänger von Fremdorganen geben, die übernehmen kurz nach der Operation die Gewohnheiten und Verhaltensweisen des Spenders. Oder sie haben Erinnerungen an ein Leben, das sie gar nicht kennen können. Das Phänomen ist ungeklärt. Wie vieles in diesem Bereich menschlichen Lebens geheimnisvoll und seltsam anmutet.

Aber was geschieht bei einer Organverpflanzung?
Wandert hier die Seele mit? Oder sind die neuen Organträger einfach nur emotional so eng mit ihrem Spender verbunden, dass sie sich dadurch so ganz in ihn hineinfühlen können? Was ist aber mit Menschen, die tatsächlich gar nichts Persönliches von ihrem Spender wissen? Menschen, die verblüffend viele Ähnlichkeiten mit dem Spender haben, in vielem so leben und fühlen wie er?

Hier kommt die Wissenschaft bislang über Vermutungen nicht hinaus. Zwar scheint es eine Verbindung zwischen einzelnen Zellen unseres Körpers und dem Gehirn zu geben. Aber in wie weit hier Informationen gespeichert sind, sei noch nicht endgültig geklärt. Es ist wie eine Black Box: man weiß, was reinkommt und wieder rausgeht. Aber was in dieser Box geschieht, das entzieht sich menschlicher Beobachtung. Mehr als Vermutungen bleiben uns nicht: wie die, dass es sein könnte, dass jedes einzelne Teil von uns auch geprägt ist mit dem, was uns als Person ausmacht.

In der Medizin bahnt sich damit ein neues Bild vom Menschen an. Den Menschen nur als Summe seiner Einzelteile zu sehen ist längst überholt. Weil Menschen eben keine Autos sind. Und Organspenden eben auch keine Ersatzteile. Eigentlich ist es deshalb nur wenig verblüffend, dass man auf ein neues Stück Körper menschlich reagiert. Beglückt, verwirrt, verstört, auf jeden Fall die ganze Zeit auf der Suche nach Erklärungen und der eigenen Identität. Menschlich eben.

Tausend Fragen: Was macht mich wirklich aus? Wer bin ich, wenn ein anderes Herz in meiner Brust schlägt? Wie verträgt sich die fremde Niere mit meinem Körper? Was ist meine Seele und wo ist sie wirklich beheimatet? Organ-Empfänger fragen nach einem umfassenden Bild des Menschen. Sie suchen nach Antworten, die wirklich befriedigen können.

Für Christen ist das nicht neu. Auch die Bibel spricht davon, dass beim Menschen Leib und Seele zusammen gehören, das eine lässt sich nicht vom anderen trennen. Und das ist nach der Bibel die Einheit von Geist, Seele und Leib. Wer fragt „Wer bin ich?“, findet in der Bibel diese Antwort. Was den Menschen ausmacht, ist das Ganze und nicht nur ein einzelner Teil von ihm.

Das heißt: Selbst wenn ich in meinem Körper eine fremde Niere habe oder ein neues Herz, bleibe ich ganz und gar ich und damit auch Ebenbild Gottes. Die Operation bedeutet keinen Mangel an mir, wie es vielleicht bei einem reparierten Auto der Fall wäre. Und es gibt auch keine herumschwebende Seele, die den anderen Körper verlassen hat und nun in meinen einzieht. Sondern mit der Einheit von Körper, Seele und Geist, wie es die Bibel beschreibt, bleibt meine Identität hundert Prozent gewahrt. Das, was mich ausmacht, meine Besonderheit, und das ist schließlich das, was mich auch liebenswert macht vor Gott und den Menschen.

Audiobeitrag Wandert die Seele mit? Organverpflanzungen


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