Der evangelische Rundfunkbeauftragte beim WDR

01.10.05, 7.50 Uhr, Birgit Winterhoff

Erntedank: Das persönliche Denk mal

Morgen feiern wir das Erntedankfest. In vielen Kirchen laufen seit Tagen die Vorbereitungen. Die Altäre werden mit Obst, Gemüse und üppigen Blumensträußen

geschmückt. Viele tragen mit ihren Gaben dazu bei. Da gibt es viel zu sehen. Schließlich soll sichtbar vor Augen stehen, wofür wir Gott danken können.

„Wir pflügen und wir streuen den Samen auf das Land, doch Wachstum und Gedeihen steht in des Himmels Hand“, dichtete Matthias Claudius. Wir werden lange auf das Erntedankfest  vorbereitet. Im Frühjahr und Sommer können wir beobachten, wie die Knospen springen, wie es blüht, wächst und reift. Im Herbst dann die Ernte: Getreide, Beeren, Nüsse, Äpfel. Selbst mitten in der Großstadt kann ich diese Vorgänge beobachten: am blühenden Kirschbaum vor der alten Stadtkirche, am Kastanienbaum in der Straße oder an den Tomatensträuchern auf dem Balkon des Nachbarn. Was wirklich schön und wichtig ist, sehe ich oft erst, wenn ich davon weiß und darauf achte.

„Danket dem Herrn, denn er ist freundlich und seine Güte währet ewig und seine Gnade für und für“, heißt es in einem Psalm zum Erntedankfest. Die letzte Bestimmung des Menschen ist es demnach, Gott zu danken und sich an seinen Gaben zu freuen.

Aber ist das so einfach? Ist unsere Welterfahrung nicht häufig eine andere? Wir leben zerstörend in einer zerstörten Welt. Die Blicke verhungernder Kinder gehen mir nach. Wofür soll ich da Gott danken?

Wer dem Schöpfer dankt, bleibt nüchtern. Er weiß, wie gefährdet und unsicher die Erde ist. Aber er wird diese Erde lieben und alles tun, was ihm möglich ist, um sie zu erhalten und zu bewahren.
Der Dank an Gott, den Schöpfer, gibt Kraft zum Handeln. Dank bewahrt vor Resignation und befähigt zur Aktion. Ein dankbarer Mensch wird nicht untätig zusehen und bei den ersten Schwierigkeiten aufgeben.  
  
Der Dank Gott gegenüber beginnt mit dem Nachdenken. Ich erlebe im Gespräch, dass sich
Menschen allzu gut an Schwieriges erinnern, das sie erlebt haben. Manchmal liegen die Vorgänge schon viele Jahre zurück. Sie können es einfach nicht vergessen. Wenn sie aber zehn Minuten erzählen sollten, wo sie Gutes erfahren haben, fällt ihnen nichts ein.

Denken und danken gehören zusammen. Es kann gut sein, einmal aufzuschreiben, wo man Grund zum Danken hat. Und nicht aufzuhören, bevor einem mindestens 15 Dinge eingefallen sind. Wofür waren Sie in den letzten Wochen, im letzten Jahr dankbar?   

Eine Familie in unserer Gemeinde hat eine ganz besondere Art und Weise entdeckt, Dank zu sagen. Kurz vor dem Erntedankfest bauen sie jedes Jahr ihren persönlichen Erntedanktisch auf. Da ist alles zu sehen, was Grund zum Danken ist. Eine Zeit lang bleiben diese Dinge als „Denk mal“ vor Augen stehen.

In diesem Jahr sieht man z. B. den Computer als Dank für den Arbeitsplatz, den der 16-jährige Sohn bekommen hat. Medikamente als Zeichen, weil die Großmutter wieder gesund geworden ist. Postkarten von Menschen, die an sie gedacht haben. Obst und Gemüse als Zeichen für die tägliche Nahrung.     

Feste machen fest. Sie sind Gedächtnisstützen gegen das Vergessen.
Gut, dass es das Erntedankfest gibt!

 

Audiobeitrag Erntedank: Das persönliche Denk mal


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