Der evangelische Rundfunkbeauftragte beim WDR

18.09.05, 8.05 Uhr, Doris Damke

Keine Schwellen mehr – Offene Kirchen laden ein

Eine blau-schwarze Raute. In sie ist eine weiße Kirche eingezeichnet, deren große Türen ganz weit geöffnet sind. An immer mehr Gotteshäusern kann man sie mittlerweile

entdecken. Die Raute weist darauf hin, dass diese Kirche regelmäßig und verlässlich offen ist, damit Menschen hineinkommen und sie auch außerhalb der Gottesdienstzeiten besuchen können: Touristen und Gläubige, Interessierte oder Passanten, solche, die nach eigenen familiären Wurzeln fragen oder solche, die einen Raum der Stille für sich suchen. Um zu beten, um nachzudenken, um über Leid- und Unfrieden zu klagen, auch um für Bewahrung oder ein schönes Erlebnis zu danken.

Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer. Ich heiße Doris Damke. Ich bin Oberkirchenrätin, lebe und arbeite in Bielefeld. Und ich bin auch für die Initiative Offene Kirchen in Westfalen zuständig.

Natürlich, heute am Sonntag sind unsere Kirche sind verlässlich geöffnet. Aber das ist – zumindest bei den evangelischen Kirchen - nicht an jedem Tag der Woche der Fall.
Noch nicht.
Doch immer mehr Gotteshäuser tragen die blau-schwarze Raute. Sie öffnen ihre Türen für alle Neugierigen und Suchenden. Viele nehmen diese Einladung an und lassen sich faszinieren. Unabhängig davon, ob sie mit Kirche und christlichem Glauben verbunden sind.

Kirchen erzählen immer Geschichten, und sie erzählen viel: Stadt- und Dorfgeschichten, Kultur-, Kunst- und Weltgeschichten und - Glaubensgeschichten.

Zuerst aber erzählen sie Lebensgeschichten. Durch ihre Architektur und Ausstattung zunächst einmal ihre eigene Lebensgeschichte. Denn jede Kirche hat ihre eigene Biografie – wie wir Menschen. Der moderne Kirchturm über dem gotischen Kirchenschiff erzählt davon, dass der letzte Krieg auch diese Kirche nicht unversehrt gelassen und ihr Leben verändert hat. Der goldene Marienaltar, der den Blick gleich beim Betreten der romanischen Kirche magisch anzieht, legt davon Zeugnis ab, dass hier katholische Christen Messe gefeiert haben, lange bevor diese Kirche evangelisch wurde. Jede Kirche erzählt ihre Biografie.

Und oft verbindet sich unsere Lebensgeschichte ja auch mit der einer bestimmten Kirche. Hier wurden wir konfirmiert, hier wurde unser Enkelkind getauft, vor diesem Altar haben wir geheiratet und hier haben wir an die gedacht, von denen wir Abschied nehmen mussten.
Deshalb kann die Lebensgeschichte einer Kirche uns intensiv berühren. Auch jene, denen wir nicht durch eigene Lebensstationen verbunden sind. Denn die Räume der Kirchen sind gleichsam erfüllt von Gebeten, Liedern, guten Worten, mit Musik und Klagen.

Musik
Sprecher . (Ps. 26,8):
Herr, ich habe lieb die Stätte deines Hauses und den Ort, da deine Ehre wohnt.

Autorin:
Mit diesem Psalmwort wurden viele Kirchen eingeweiht und ihrer Bestimmung übergeben. Und die eine oder der andere kann wohl beim Besuch seiner Kirche diesem Bekenntnis aus ganzem Herzen zustimmen.
Kirchen erzählen Lebensgeschichten. Und sie erzählen vom Glauben. Nicht von ungefähr. Denn das Christentum ist eine Erzählgemeinschaft. Menschen haben Kirchen gebaut und ausgestattet, um in ihnen Gottes Wort zu hören, aber auch damit sie von Gott und seiner Nähe erzählen.

Eine Kirche zu betreten und sich ihr auszusetzen, heißt in eine Erzählgeschichte einzutreten. Spuren gelebten Glaubens nachzuspüren. Sie erzählen darum nicht nur von Gott, sondern auch von den Menschen, die sie bauten, und von denen, die in ihnen ihr Zuhause gefunden haben. Unsere Kirchen erzählen von der Beziehung zwischen Gott und Menschen und von den Beziehungen der Menschen untereinander.

Der christliche Glaube sucht Gemeinschaft. Auch davon geben unsere Kirchen Zeugnis. In ihnen haben wir Anteil an den Erfahrungen anderer vor uns und nach uns.
Denn jede Kirche hat mit Zeit zu tun. Sie ist Zeitzeugin seit ihrer Ausstattung und mit ihrer ganzen Ausstattung. Aber sie hat auch mit unserer Lebenszeit zu tun.

Wenn ich eine Kirche betrete, verlasse ich die Alltagshektik, die Geschäftigkeit der Stadt, unterbreche meine Termine außerhalb. Meine Zeit wird heilsam unterbrochen. Es kann etwas für Gottes Zeit und Ewigkeit spürbar werden:
Was zählt wirklich in meinem Leben? Was bleibt? Worauf kann ich mich verlassen, wenn ich mich verlassen fühle?
Jeder Kirchenbesuch ist  ein Zeit- und Ortswechsel.

Hier kann ich nichts einkaufen; hier kann ich weder kochen noch fernsehen, hier muss ich mich nicht ausweisen und hier brauche ich nichts vorzuweisen. Eine Kirche ist ein nicht verzweckter, aber beileibe kein zweckloser Raum. Er bietet dem Glauben einen sichtbaren Ort, dem Glaubenden eine Heimat, will den Suchenden, Fragenden und Betrachtenden bergen und Obdach für die Seele bieten. Daher sind Kirchen allemal mehr als blosse historische Gebäude oder Denkmäler.

Auch das scheinen viele zu spüren. Denn da, wo eine Kirche abgegeben oder geschlossen werden muss, gibt es immer viele Menschen, die bereit sind, sich mit allen Kräften und Ideen dafür einzusetzen, dass „ihre“ Kirche erhalten bleibt. Als besonders bewegend erleben wir, wo eine Kirche zerstört oder abgerissen, aber auch wo sie wieder aufgebaut wird. Das bekannteste Beispiel dafür, das in aller Welt Beachtung gefunden hat, ist wohl die Frauenkirche in Dresden. Selbst die Menschen, die keine besondere Beziehung zur dieser Kirche hatten, haben mit großer Anteilnahme verfolgt, wie die Glocken wieder in den Turm verbracht und die Kirche für ihre Bestimmung wieder hergerichtet wurde.

Musik

Sprecher
Herr, ich habe lieb die Stätte deines Hauses und den Ort, da deine Ehre wohnt.

Autorin:
Kirchenräume  ziehen auch Menschen an, die von Kirche nichts wissen wollen, die nie in einen Gottesdienst gehen würden. Kinder spüren am ehesten das Besondere an einer Kirche. Sie erleben, dass sie in einem anderen „Haus“ sind, „heiligen“ Raum betreten. Wer eine Kirche betritt, sucht einen Ort auf, der verschieden ist von allen anderen Orten.

Denn Kirchen erzählen vom Glauben. Darum sind sie nicht geschwätzig. Sie erzählen keinen Tratsch und Klatsch. Sie erzählen auch in der ihnen innewohnenden Stille heilige Geschichten. Geschichten von der Liebe Gottes zu seinen Menschen, Geschichten vom Leben und Sterben, von Schuld und Vergebung, von Hoffnung und Frieden.

Allerdings, selbst die Steine einer noch so alten und ehrwürdigen Kirchen reden nicht von selbst. Sieht man nur die Steine, dann erfährt man nichts Wesentliches.

Doch jede Kirche ist ein Schatz und ein Schatzkästchen. Aber man muss die Kostbarkeiten, die darin verborgen sind, erst entdecken. Und es erfordert etwas Anstrengung und Zeit , sie ans Licht zu holen.
Aber Schätze machen ja erst dann Freude, wenn man sie auch herzeigen und die Freude darüber mit anderen teilen kann.

Darum plädiere ich für offene Kirchen, nicht nur am Sonntag. Auch wenn dies der Tag des Herrn ist, an dem aus dem Raum, der selbst erzählt, vor allem ein Raum wird, in dem andere auch erzählen, im Singen und Sagen. Und im Aufeinanderhören.

Gehört, gesungen und gesagt wird in unseren Kirchen von der Ehre Gottes und von Gottes Sohn, Jesus Christus. Ja, er verkörpert die offene Tür geradezu. Sagt nach der Überlieferung des Johannesevangeliums Jesus Christus doch von sich selbst: (Joh 10, 9)

Sprecher:
Ich bin die Tür; wenn jemand durch mich hineingeht, wird er selig werden.

Autorin:

Das ist meine Hoffnung, liebe Hörerinnen und Hörer. Dass alle, die eine Kirche aufsuchen, in sie eintreten, sie besichtigen, auch davon etwas spüren und erleben: Christus lädt sie zu sich ein und bietet sich in ihnen an, um Gott kennenzulernen.

Die geöffneten Türen einer Kirche werden so selbst zum Symbol. Auch sie weisen auf den hin, der die Tür zum Leben, die Tür zu Gott ganz weit aufgetan hat, um alle einzuladen und einzulassen. Wer sich von ihm einladen lässt, kann in einer Kirche nicht nur einen Kunstgenuss, ein ästhetisches Erlebnis, Ruhe in der Hektik des Alltags und einen Raum finden, die Seele baumeln zu lassen oder abzuladen, was auf dieser schwer lastet. Nein, er kann das Leben in Zeit und Ewigkeit finden. Was anderes heißt Seligkeit?

Sprecher:
Ich bin die Tür; wenn jemand durch mich hineingeht, wird er selig werden.

Autorin:
Heute sind alle Türen der Kirchen offen. Die, die sich in ihnen zum Gottesdienst versammeln, haben die Einladung angenommen, die Christus uns ausgesprochen hat. Aber sollte das etwa heißen:  Nur wer zur Kirche geht, erhält die Zusage, selig zu werden? Dann wäre dieses Wort ja ein Lobpreis des eifrigen Kirchgangs und ausschließlich für die eifrigen Gottesdienstbesucher reserviert.

Wir müssen da aber genau bleiben. Jesus Christus sagt: Ich bin die Tür!
Ihn können wir jederzeit besuchen und bei ihm eintreten. Alle Tage ist dazu Gelegenheit. Jesus kennt weder ein Hausverbot noch einen Hausfriedensbruch. Seine Einladung will jede Schwellenangst nehmen. Die Tür Jesus Christus hat eine keine hohe Schwelle. Jeder und jede darf bei ihm eintreten. Auch die, die wie eingemauert sind und nicht mehr aus noch ein wissen, sich wie hinter Schloss und Riegel fühlen. Und das sind ja nicht nur die, die etwas auf dem Kerbholz haben. Wir alle machen an unterschiedlichen Stellen die Erfahrungen, in uns selbst gefangen zu sein.

Jesus Christus sagt: Ich bin die Tür. Die Tür zum Ursprung des Lebens, also die Tür zu Gott. Sie führt ins Offene und ins Freie und hinter ihr muss selbst der Tod draußen bleiben. Denn in dem Raum, den man durch sie betritt, liegt Seligkeit, Leben, ewiges Leben.
Dazu lädt Jesus Christus uns ein. Und dafür sind auch die offenen Türen der Kirchen ein beredtes Zeichen. Auch an den Tagen, an denen die Kirchen wieder eher Räume des stillen Erzählens denn des Hörens sind. Denn immer mehr sind auch evangelische Kirchen geöffnet und bieten sich dazu an, die wirkliche Tür zum Leben kennenzulernen.

Einen guten Sonntag wünscht Ihnen Doris Damke aus Bielefeld. Und eine gesegnete Woche. Vielleicht sind Ihre Tage ja verbunden mit der einen oder anderen Entdeckung, wo überall in ihrer Nachbarschaft oder bei dem Besuch eines anderen Ortes Kirchen auf Sie warten, die der Seele Raum bieten wollen.

 

Audiobeitrag Keine Schwellen mehr – Offene Kirchen laden ein


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