Der evangelische Rundfunkbeauftragte beim WDR

18.09.05, 7.45 Uhr, Stephan Kiepe-Fahrenholz

Wahltag

Wer die Wahl hat, hat die Qual, sagt der Volksmund. Heute auch. Die Wahl zu haben ist nicht einfach. Trotzdem ist es wichtig. Vor allem, wenn es um die Verteilung

der politischen Verantwortung geht.

Dem wird seit geraumer Zeit gern und immer häufiger entgegen gehalten, die Parteien und die Politiker seien ja sowieso alle gleich. Richtig daran ist, dass heute nicht zwei oder drei gänzlich verschiedene Wert- und Gesellschaftssysteme zur Wahl stehen. Richtig ist auch, dass keine der Parteien über mehr Besitz an politischer Wahrheit verfügt als die anderen. Und richtig ist schließlich, dass dem politischen Bemühen aller Lager meist eher dürftiger Erfolg beschieden ist.

Das ist für  Christinnen und Christen ist das keine besondere Sensation. Dass die großen und erhabenen Ziele, wenn überhaupt, mit mühsamen kleinen Schritten erreicht werden, und dass ich mit den besten Absichten fürchterliches Unheil anrichten - hinter diesen und allen anderen Erscheinungsformen des Scheiterns steckt das, was die Bibel mit einem heute etwas verstaubt klingenden Begriff Sünde nennt. Gemeint ist damit, dass ich bei der entscheidenden Frage, wem ich eigentlich mein Leben verdanke, auf welchem Fundament es gegründet ist und welchem Ziel es zustrebt, keinerlei Wahl habe. Da bin ich ganz und ausschließlich auf Gott angewiesen.

Eben deshalb geht es bei der heutigen Bundestagswahl auch keineswegs um das endgültige und unwiderrufliche Schicksal der Bevölkerung, auch wenn man im zurück liegenden Wahlkampf gelegentlich diesen Eindruck gewinnen konnte. Letzte Fragen werden nicht demokratisch entschieden. Daraus aber nun zu schließen, der Gang zur Urne sei an und für sich schon überflüssig, ist ganz sicher blind.

Das Recht zu wählen ist ein Privileg der Demokratie. Wo demokratische Kontrolle fehlt, haben es christliche Gemeinschaften und Kirchen weltweit schwer. Sie geben, einem Wort der Bibel zufolge, dem Kaiser bloß, was des Kaisers ist, weil sie andernfalls nicht Gott geben könnten, was Gottes ist. Eine solche Haltung führt automatisch in Bedrohung und Verfolgung, wenn sich die jeweiligen politischen Machthaber selbst wie kleine Götter fühlen und entsprechend handeln.

Deshalb haben Christinnen und Christen um der Glaubwürdigkeit ihres Glaubens willen eigentlich keine andere Wahl als wählen zu gehen. Es ist nicht egal, wer das Land regiert und wie es regiert wird. Es ist wichtig, sich eine Meinung darüber zu bilden, ob, wer Einschnitte ankündigt, auch sagt, zu wessen Lasten und zu wessen Nutzen sie geschehen sollen. Ob, wer Wohltaten verspricht, auch sagt, wovon er sie bezahlen will. Ob, wer Sicherheit verheißt, auch sagt, um welchen Preis.

Das alles sind Fragen, die auch zwischen Christinnen und Christen zu kontroversen Diskussionen und zu höchst unterschiedlichen Wahlentscheidungen führen werden. Das ist in Ordnung.

Nicht in Ordnung ist, sie gar nicht erst zu stellen. Wer aus der Erfahrung des Glaubens um die bloß relative Wahrheit und Tragfähigkeit zeitlich befristeter Entscheidungsprozesse weiß, wird die eigene Beteiligung an der Entscheidung nicht verweigern. Darum gehen Sie wählen!

 

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