Der evangelische Rundfunkbeauftragte beim WDR

13.09.05, 5.56 Uhr, Antje Rösener

Gott eine Person?

Vor kurzem hatte ich mich mit einem Bekannten zum Essen verabredet. Er ist schon siebzig und hat vor zwei Jahren seine Frau verloren. „Seit kurzem habe ich eine Freundin“,

erzählte er und seine Augen begannen zu funkeln. „Es war alles furchtbar aufregend…, bis ich mich traute, sie anzusprechen…, bis der erste Satz über die Lippen war…, das erste Du…!“

Ein Gegenüber zu finden, ein liebevolles DU, das ich ansprechen kann, egal was ist – dies zu genießen oder sich danach zu sehnen, das kennt wohl jeder von uns.

„Gott, DU…“
so vertraut beginnen auch viele Gebete der Bibel, viele Psalmen.
„Gott, DU…“ so beginnt auch mein Lieblingspsalm, der Psalm 139, über den ich in den Morgenandachten dieser Woche nachdenke.
Gott, DU … - was entblättern allein diese beiden Worte?

Es ist schön, zu einem Menschen DU zu sagen, aber zu Gott zu sprechen wie zu einem Menschen, zu Gott DU zu sagen - das ist für viele fremd geworden.

Zwar bekennt die Mehrheit der Deutschen an Gott zu glauben. Aber – so sagen zum Beispiel Freunde von mir – Gott ist doch keine Person, die ich anreden kann wie meinen Freund oder meinen Nachbarn. Gott ist eher eine Kraft. Vielleicht ist er so was wie Lebendigkeit, Lebensfreude, vielleicht ist er ein Mutgefühl. Jedenfalls eine Person ist er nicht. Deswegen – so sagen sie - komme ich mir komisch vor, wenn ich „Du, Gott“ sagen soll.“

Da ist etwas dran.
Gott ist keine Person, wie Sie oder ich. Und damit wird es schwer, DU zu sagen. Denn damit entzieht er sich uns: Was soll ich mir denn vorstellen, wenn ich zu diesem Gott rede? Einen alten Mann mit weißen Bart ja gerade nicht, aber was dann?
Wieso haben sich die Menschen nicht längst was anderes einfallen lassen, um mit Gott in Kontakt zu kommen, als dieses vertraute Du?
Wieso sprechen auch diejenigen unter uns, die immer wieder mal beten, auf diese Weise zu Gott. „Gott, du…“.

Weil sie eine Erfahrung gemacht haben.

Irgendwann komme ich bei Gott mit allem Grübeln, mit allem Philosophieren über sein Wesen nicht weiter. Irgendwann geht es darum, etwas zu wagen, den ersten Schritt zu machen, um zu schauen, was dann passiert.

Wie im normalen Leben auch: Mein Bekannter wagte es mit klopfendem Herzen, die Frau anzusprechen. Und er erlebte: Kaum ist die Anrede raus, kaum sind die ersten Worte gesagt, entsteht etwas, entsteht Kontakt, Bewegung. Dann wird es spannend. Dann spielt die Musik.

Mit Gott ist es nicht anders.

Um mit ihm und seiner Kraft in Kontakt zu kommen, braucht es diesen ersten Mut: Dass ich „DU, Gott…!“ sage.
„Du, Gott, was ich dir sagen will…!
Du, Gott, was ich auf dem Herzen habe…!
Du, Gott, was mich ärgert…!“

Dann entsteht etwas. Manchmal habe ich mich hinterher erleichtert gefühlt, befreit von einer Last, die mir auf dem Herzen lag. Manchmal ereilte ich mich in den Stunden oder Tagen danach eine Klarheit. Ich wusste: Das ist jetzt dran.
Manchmal allerdings - auch das gibt es - scheint Gott zu schweigen. Endlos lange zu schweigen.
„Du, Gott“ zu sagen, auch wenn Gott fern und abwesend scheint, das ist die höchste Kunst.

„Vor und mit Gott, leben wir ohne Gott“ schrieb Dietrich Bonhoeffer 1944 kurz vor seiner Ermordung im Gefängnis. „Vor und mit Gott, leben wir ohne Gott. Es klingt paradox, aber so ist es – mit diesem Gott.
 

 

 

Audiobeitrag Gott eine Person?


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