Der evangelische Rundfunkbeauftragte beim WDR

15.09.05, 6.56 Uhr, Präses Alfred Buß

Grün

Im Sommer auf einer grünen Wiese liegen. Mit einem Grashalm im Mund den Wolken nachschauen. Alles grünt und blüht und duftet nach gemähtem Gras. So genieße ich

Kindertagen gern die Gegenwart und nehme sie mit allen Sinnen wahr.
Einfach nur da sein. Nicht gestern. Nicht morgen. Heute. - Jetzt!

Grün ist die Farbe von Wiesen und Wäldern, von Wachstum und Leben, von Frische und neuem Anfang. Im Frühling bricht das zarteste Grün neu aus den Zweigen. Die Vielfalt der Grüntöne des Wonnemonats Mai vermag das Auge kaum zu fassen. Und das satte Grün des Sommers kündet Fruchtbarkeit und reiche Ernte an.

Grün ist die Farbe des Wachsens.
Grün ist die Farbe der Hoffnung. Das weiß jedes Kind.

Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf Ihn, er wird’s wohlmachen, sagt ein Psalmwort. Wo solche Hoffnung aber fehlt, kann nichts grünen und wachsen. Da verdorrt die Saat oder wird gar nicht erst ausgefahren. Da werden kaum noch Kinder geboren. Es fehlt das Vertrauen ins Leben.

Dabei täten uns Kinder so gut. Sie mögen noch grün sein hinter den Ohren, doch sind sie dem Leben aufgetan wie grünende Blätter der Sonne; empfänglich für jeden unverhofften Augenblick. Denn sie leben jetzt; ohne Angst vor morgen. Kinder binden ihren kleinen Karren noch an manchen großen Stern. Die Welt ist so viel wunderbarer und größer als der begrenzte Ausschnitt, den Erwachsene wahrnehmen.

Von dieser so viel größeren Welt erzählt Jesus von Nazareth. Aber es sind keine Geschichten von fernen Planeten oder neuen Galaxien. Wer den himmlischen Geschichten Jesu zuhört, bleibt der Erde ganz nah. Er erzählt vom Säen und Ernten, von Weinbergen und grünen Weiden, von Bauern und Fischern am See. Bei ihm gehören Himmel und Erde zusammen. Wer die Erde nicht berührt, kann den Himmel nicht erreichen, sagt ein Sprichwort.

Wenn du dem Unsichtbaren auf die Spur kommen willst, dann tu Augen und Ohren auf, und nimm wahr, was auf dieser Erde geschieht. Im Kleinen beginnt Großes. Schau die unsichtbare Grünkraft an: aus dem kleinsten aller Samenkörner, dem Senfkorn, wächst ein riesiger Baum, in dessen Zweige die Vögel singen. (Vgl. Mt 13,32) Die nicht säen und nicht ernten, und der himmlische Vater ernährt sie doch. (Mt 6,26)

Gottes künftige Welt schlägt auch seine Wurzeln in unserem grau erscheinenden Alltag. Nichts ist ohne Bedeutung. Wer scheitert, ist nicht am Ende. Wer stirbt, geht nicht verloren. Es mag kalter Winter sein. Aber die Knospen wissen es besser: Jahr für Jahr springen alle Knospen auf und fangen an zu blühen.

Hoffnung sieht weiter. Sie sieht im Winter schon den Frühling. Im Schnee die ersten Knospen. Und selbst in der Wüste rechnet sie mit grünen Auen und frischem Wasser (vgl. Ps 23,2).

Hoffnung schaut durch den Horizont. Sieht im Sichtbaren schon Gottes unsichtbare Welt. Das schenkt Vertrauen ins Leben. Wer dem Leben vertraut, der bleibt der Erde treu und kann ganz in der Gegenwart leben - ohne immer schon ängstlich an morgen denken zu müssen. Jeder Tag, jede Stunde wird wichtig, und jeder unverhoffte Augenblick ist schön. Denn alles ist eingebettet in Gottes Ewigkeit.

Wir sollen wie die Kinder werden (vgl. Mt 18,3), rät uns Jesus, denn sie machen es uns vor: Wenn sie ein Ohr an den Erdboden legen und das Gras wachsen hören, dann haben sie das andere offen für den Himmel.

Die Knospen dieser Hoffnung, liebe Hörerinnen und Hörer,
mögen für uns erblühen. Heute!


 

Audiobeitrag Grün


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