Der evangelische Rundfunkbeauftragte beim WDR

17.09.05, 6.56 Uhr, Präses Alfred Buß

Weiß

Kein Weiß war am Himmel zu sehen, als er an diesem Samstagmorgen die Rollläden öffnete. Was für ein göttliches Wetter. Voll Freude sah er diesem Tag entgegen. Ob er

auch halten wird, was er verspricht?

Er warf sich den Künstlerkittel über, nahm den Pinsel in die Hand und schaute voller Tatendrang in die farbenprächtige Runde. Wie ein Regenbogen lagen alle Farben vor ihm - bereit für ihren Einsatz. Mit welcher sollte er nun beginnen? Schwer, sich zu entscheiden.

Welche ist deine Lieblingsfarbe? fragte aus dem Hintergrund das Grau, das meist übersehen wurde.

Eine Farbe, die mein Liebling ist ..? Er stutzte.  Ich habe euch alle gleich gern. Eine ist mir so lieb wie die andere.

Papperlapapp, tönte das Blau. Ich bin nicht wie die anderen. Ich habe blaues Blut.

Du hast auch nur eine Stimme, sprach das Grau bestimmt. Für eine von uns musst du dich entscheiden.

Aber wem soll ich denn meine Stimme geben?, fragte er unschlüssig.

Das ist deine Wahl.

Wenn du Wärme und den Glanz der Sonne liebst, strahlte das Gelb, kann es nur eine für dich geben: mich! Eifersüchtig bin ich nicht. Das ist üble Nachrede.

Ich halte, was ich verspreche. Nenn mich Jeanette, hauchte das Violett, und sah ihn verführerisch an.

Danke, sagte er verlegen, während sich seine Wangen verfärbten.

Derweil hüpfte das Pink aufgeregt hin und her. Er wurde nervös.

In mir pulsiert das Blut. Ich habe noch Feuer im Herzen, sagte das Rot kämpferisch, und stellte sich noch kräftiger dar.

Er wurde blass. Spontan zog es ihn zum Grün. Hoffnung konnte nie schaden. Doch als er es näher betrachten wollte, saß es frech hinter seinen Ohren. Du Grünschnabel, dachte er.
Dann bevorzugte er doch eher die vornehme Eleganz des feierlichen Schwarz. Doch das wirkte oft schwermütig und traurig.
Er wusste nicht weiter. Er hatte das Gefühl, er falle in ein Loch. Die Wahl fiel ihm schwer.
Es musste doch noch etwas Anderes geben ... Verschiedene Töne, vielfältig und farbenfroh ... so hatte er sich die Welt gedacht. Er liebte ein buntes Treiben. Sein Blick hellte sich auf.

Bunt ist meine Lieblingsfarbe, ertönte seine Stimme.

Lächerlich. So ein fauler Kompromiss, quietschte das Orange, und das Erdig-Olive nickte behäbig.

Sie bedrängten ihn von allen Seiten. Er hatte keine Wahl.
Da wurde es ihm zu bunt. Entschlossen schnappte er sich das Rot und das Gelb und das Grün und all die anderen und warf  sie alle in einen Topf.

Ihr haltet ja doch nicht, was ihr versprecht ... und er rührte kräftig um.
Je kräftiger er rührte, desto mehr strahlte sein Angesicht.
Ein Glanz blendete ihn. Nie zuvor hatte er so etwas gesehen. So hell und rein. So strahlend. So vollkommen...

Durch das Mischen aller Farben war eine ganz neue entstanden. Sie war nicht eintönig. Sie war die Summe aller Töne. Einfarbig und zugleich Bunt. Ein Wunder.

Keine Farbe drängte sich mehr in den Vordergrund. Keine stand im Schatten. Ihr Streiten war vorbei. In Harmonie waren sie miteinander vereint. Nur gemeinsam konnten sie diesen einmaligen Glanz von sich geben.
Das Strahlen dieser einen Farbe, in der alle enthalten waren, hatte etwas Heiliges.

Und er nahm seinen Pinsel und malte damit ein Wölkchen an den Himmel. Grad groß genug, um morgen darauf zu ruhen.

Und vielleicht, so dachte er, fällt mir ja noch ein passender Name für diese heilige Farbe ein ... wer weiß?!

 

 


 

Audiobeitrag Weiß


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