Der evangelische Rundfunkbeauftragte beim WDR

14.09.05, 7.50 Uhr, Präses Alfred Buß

Rot

Es gibt Tage mit Herzklopfen. Die streich’ ich mir rot im Kalender an. Tage voller Leidenschaft und Gefühl.Wenn ich mit Schmetterlingen im Bauch einen Zentimeter

über dem Boden schwebe. Wenn für mich rote Rosen regnen. Wie beim ersten zaghaften Kuss.
Oder als die Hebamme mir das kleine Bündel in die Arme legt. So verletzlich. So zart.
Und da ist es wieder, dieses Herzklopfen aus Vorfreude auf ein Wiedersehen.

Rot ist die Farbe der Liebe. Doch nicht nur das. Sie ist auch die Farbe aller leidenschaftlichen Gefühle. Der schönen, wie auch der schrecklichen.

Nicht nur Stiere können rot sehen, auch Menschen. Feuerrot.

Rot wie Blut ist das Feuer des glühenden Hasses. Seit jenem 11. September zieht sich eine blutige Spur durch Städte und Länder. Fordert der Wahnsinn des Terrors immer neue Opfer.

Rot vor Wut, vor Aggression und Terror wird unsere Welt hässlich.

Die Liebe ist langmütig und freundlich. Sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern. Sie rechnet das Böse nicht zu. Die Liebe freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; (vgl. I Kor 13,4-6).

Jedes Kind weiß: Rot ist doch die Farbe der Liebe. Und die Liebe ist es, was die Welt im Innersten zusammenhält. Tief in uns wissen wir: eine Kindheit voller Liebe kann den Schrecken dieser Welt lange standhalten. Liebe ist wie eine Quelle, aus der wir schöpfen können. Wie weiches Wasser höhlt sie den harten Stein.

Liebe ist und bleibt der Herzschlag dieser so hässlich gewordenen Welt. Trotz allem. Aus dieser Überzeugung hat Jesus gelebt, ganz und gar.

Gott ist Liebe. Und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm. (I Joh 4,16) Vollkommene Liebe treibt die Furcht aus. (V.18)

Das zieht sich durch Jesu Tun und Lassen wie ein roter Faden. Er herzt, was klein ist. Verlorengegangene gibt er nicht auf. Die Niedrigsten verbindet er mit dem Höchsten. Und  liebt seine Feinde.

Wir mögen das lieben, was attraktiv ist. Das Schöne, Niedliche, Knuddelige ... eben das Liebenswerte. Gott aber liebt auch das ganz und gar Hässliche. Er liebt es schön.

Jesus setzt sich dem Hässlichen aus: der Aggression, dem Hass, dem Terror.

Liebe kann sich nur liebevoll durchsetzen - oder sie ist nicht Liebe. Im täglichen Spiel mit dem Feuer ist sie verletzbar, und wie! Jesus überwindet das Hässliche, indem er es erleidet und trotzdem liebt. Er liebt selbst die Feinde, die ihm das Leben nehmen. Liebe rechnet das Böse nicht an. Sie will verwandeln, was ihr entgegensteht.

Bei mir biste scheen, singt ein alter jiddischer Schlager. Gott liebt das Hässliche schön.
Das gilt wohl auch mir, der ich - immer wieder - mal hässlich rot sehe oder rot werde. Bei mir biste scheen - das gilt der ganzen hässlich gewordenen Welt.

Gottes leidenschaftliche Liebe überwindet Haß und Terror und selbst den Tod, denn Christus ist auferstanden von den Toten.

Deshalb ist ein Tag der Woche im Kalender immer schon rot markiert: Der Sonntag.
Dies ist der Tag der Auferstehung Christi von den Toten. Er schenkt uns Zeit und Ruhe, den Takt Gottes zu spüren: Der Herzschlag der Welt ist die Liebe.

Vielleicht gelingt es uns schon in der Wochenmitte, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer,
diesem Herzschlag auf die Spur zu kommen.

 


 

Audiobeitrag Rot


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