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Lotto
Heute auf den Tag genau hatte sie Premiere: Deutschlands meistgesehene Fernsehshow mit Millionen von Zuschauern, die darauf hoffen, dass sich mit einem Schlag das Leben
verändert. Am 4. September vor vierzig Jahren fielen sie erstmals, die beruhigenden und seriösen Worte: Der Aufsichtsbeamte hat sich vor der Ziehung von dem ordnungsgemäßen Zustand des Ziehungsgerätes und der neunundvierzig Kugeln überzeugt. Und gesprochen wurde dies von einer jungen Dame, die sich von einer biederen Schönheit der Adenauer-Ära zur bundesweit populären Lottofee Karin Tietze-Ludwig entwickelte.
Was zu den Standards der Samstagabendunterhaltung gehört wie sonst nur Sportschau, Wetten dass und früher Kulenkampff, ist tatsächlich die äußerlich sichtbare Seite eines Massenwahns. Woche für Woche geben sich rund 20 Millionen Bundesbürger, also rund ein Viertel der Bevölkerung, der Illusion vom ganz großen Geld für ganz wenig Einsatz hin. Die statistische Wahrscheinlichkeit, den Haupttreffer zu landen, liegt etwa bei 1 zu 14 Millionen. Das Prinzip lautet: Du hast keine Chance, aber nutze sie.
Ein ziemlich anders lautendes Prinzip liegt dem aktuellen Monatsspruch für September zu Grunde: Seht zu und hütet euch vor aller Habgier, heißt es im Lukasevangelium, denn niemand lebt davon, dass er viele Güter hat.
Reichlich übertrieben, meinen Sie, so schweres biblisches Geschütz gegen die harmlose wöchentliche Tipperei aufzufahren? Mag sein. Vielleicht aber auch nicht, wenn wir mal über die Summen reden, um die es geht. Dass Geld gierig macht, weiß niemand besser als die Lottomanager. Im Rekordjahr 1998 belief sich der Umsatz im deutschen Lottoblock auf 13,9 Milliarden Mark. Nie zuvor hatten so viele Menschen mitgespielt. Der Grund: Es winkte ein Superjackpot von 35,8 Millionen.
Spätestens angesichts solcher Dimensionen wird klar, dass Lotto mehr ist als ein harmloses Spielchen. Es signalisiert die letzte Gemeinsamkeit zwischen den Opfern von Hartz IV und dem seit zwanzig Jahren schuftenden leitenden Angestellten: mehr haben zu wollen als man hat. Ob der eine mit dem alles entscheidenden big point seine soziale Misere überwinden will oder der andere von dem wundersamen nächsten Montag träumt, an dem er plötzlich nicht mehr arbeiten geht, ist insofern egal, als beide glauben, mit einem Haufen Geld könne man das Leben ein für alle Mal zum Guten wenden.
Denken Sie nicht, dass ich jetzt mit dem billigen Motto daherkomme, Geld mache nicht glücklich. Das ist schon immer der Trostspruch der Besitzenden für die Habenichtse gewesen. Und natürlich hat Frau A. aus B., die von ihrem Lottogewinn erst mal eine Weltreise gemacht hat, wunderschöne Eindrücke gesammelt.
Die Bibel meint, wenn sie vor der Habsucht warnt, etwas anderes und tieferes: Sie lädt dazu ein, das Leben gerade nicht übers Haben absichern zu wollen. Sich zu öffnen für solche Erfahrungen erfüllten, gelungenen Lebens, die nichts kosten und deshalb weder erspielt noch verdient werden können. Leben empfangen als Geschenk Gottes. Nicht als Hauptgewinn.
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