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WDR 5
Brot duftet
Frisches Brot duftet! Wenn Michael Kluck morgens in die Bäckerei komme, um Brötchen zu holen, dann atmet er diesen Duft ein:
frischgebackenes Brot, noch warm, gerade aus dem Backofen gezogen. Brot, das schmeckt und nährt. Er atmet diesen Duft ein und freut sich auf das Brötchen oder auf die erste Schnitte Brot. Michael Kluck ist evangelischer Pfarrer und wohnt in Ommersheim bei Saarbrücken.
Den Bäcker beneidet er. Gewiss, der muss früh aus dem Bett, es ist heiß in der Backstube und staubig vom Mehl. Doch wenn das Brot fertig ist, dann duftet es im Laden. Er beneide den Bäcker, weil er denkt: In meinem Laden müsste es auch so duften - nach frischem, nahrhaftem Brot. Nach Brot, das den Hunger der Menschen stillt. Nach Brot, dessen Duft den Leuten Appetit macht.
In den Kirchen müsste es nach Brot duften. Denn Jesus sagt: "Ich bin das Brot des Lebens." Kirchen sind Bäckerläden. Hier gibt es Brot, das den Hunger stillt. Brot, das schmeckt und nährt. Anders als der Bäcker braucht der Pfarrer nicht einmal zu backen. Es ist da, er muss es nur austeilen, weitergeben an die, die Hunger haben. Da könnte der Bäcker nun wiederum die Pfarrer und Pfarrerinnen beneiden.
Wenn da nur nicht die Beobachtung wäre: Hierzulande hat der Hunger offensichtlich nachgelassen - der Hunger nach warmem, duftendem Brot wie der Hunger nach dem Brot des Lebens. Pfarrer und Bäcker klagen über mangelnde Nachfrage.
Vor sechzig Jahren war das anders, wie Michael Kluck erzählt wurde: Die Schlangen aus den Bäckereien reichten bis auf die Straße, die Kirchen waren überfüllt, wo sie noch standen - Konzertsäle und Theater übrigens auch. Da war Hunger. Nach Brot. Nach Nahrung für Leib und Seele. Nach allem, was schön ist. Hunger nach einer Erklärung für das Trümmerfeld in den Städten und in den Herzen. Hunger nach einem Sinn. Eben: Hunger nach Leben. Ist dieser Hunger heute - sechzig Jahre nach Kriegsende und Nachkriegsnot - wirklich gestillt? Oder eher: überdeckt? Statt Brot gibt es Torten, bunt und verlockend anzuschauen. Auch auf religiösem Gebiet wird einiges geboten. Jede und jeder kann sich ein Stück abschneiden von den bunten Torten religiöser und weltanschaulicher Beliebigkeiten. Nur: An Torte kann man sich überfressen. Torte kann man satt bekommen.
So gut Torte gelegentlich schmecken mag: Brot ist durch Torte nicht zu ersetzen. Die französische Königin Marie Antoinette war im Irrtum: Als das Volk nach Brot schrie, riet sie ihm, Kuchen zu essen. Das hat Marie Antoinette den Kopf gekostet. Es ist lebensgefährlich, den Schrei nach Brot mit dem Verweis auf Torten zu beantworten.
Musik-Einspielung:
Ohne Torte können wir leben, ohne Brot nicht. Brot, das ist das Lebensnotwendige. Luther in seiner Erklärung zur Bitte des Vaterunser um das tägliche Brot:
"Was heißt denn tägliches Brot? Alles, was not tut für Leib und Leben, wie Essen, Trinken, Kleider, Schuh, Haus, Hof, Acker, Vieh, Geld, Gut, fromme Eheleute, fromme Kinder, fromme Gehilfen, fromme und treue Oberherren, gute Regierung, gut Wetter, Friede, Gesundheit, Zucht, Ehre, gute Freunde, getreue Nachbarn und desgleichen."
Das alles ist Brot: Die Nahrung, die der Körper braucht. Die Menschen, zu denen wir gehören und die zu uns gehören. Die Gesellschaft und der Staat, in denen wir leben und die wir mitgestalten. Der Friede und die Wohlfahrt in der Nachbarschaft und in der Welt. Das alles ist Brot. Wir brauche es notwendig, um leben zu können.
Torte dagegen ist, was zwar schmeckt, aber allenfalls in Maßen genossen. Torte ist das, worauf wir auch verzichten können und - vielleicht - verzichten sollten. Das "fast food" dutzender Fernsehprogramme stillt nicht den Hunger nach Leben. Der süße Brei hunderter von Sekten und Weltanschauungen, esoterischer Lehren und psychohygienischer Schulen, stillt nicht den Hunger nach Sinn. Das alles ist Torte, gelegentlich ganz nett, manchmal gefährlich, insgesamt durchaus verzichtbar. Jedenfalls: Kraftlos gegen richtigen Hunger.
Wer richtig Hunger hat, der braucht was zwischen die Zähne. Etwas, woran er zu kauen hat. Der christliche Glaube ist keine leichte Kost, kein süßer Brei, der sich leicht um jeden Mund schmieren lässt. Er ist Glaube an den, der gesagt hat: "Ich bin das Brot des Lebens." Nicht: Ich kann Euch Brot geben! Ich vermehre die Angebote um ein weiteres. Sondern: Ich bin Brot. Ich stille Euren Hunger. Ich gebe Euch mich selbst. Ich will Euer Lebensmittel sein. Ich gebe Euch, was Ihr zum Leben braucht. Ihr braucht mich, sonst nichts und niemanden. Hier gibt einer nicht etwas, sondern sich selbst. Hier ist einer Geber und Gabe zugleich.
Das klingt geheimnisvoller als es ist. Auch wir Menschen können das zuweilen: Geber sein und Gabe zugleich. Wenn zwei sich lieben, dann geht das: Sie verschenken sich aneinander und haben sich - wie wir es nennen - "zum Fressen gern", werden einander zum Lebensmittel.
Geber sein und Gabe zugleich. Eltern versuchen das, wollen für ihre Kinder da sein, ihnen geben, was sie zum Leben brauchen, auch die eigene Kraft, auch sich selbst. Dabei werden sie oft aufgefressen mit Haut und Haaren. Sie tun es trotzdem. Aus Liebe.
Wenn Jesus sich das "Brot des Lebens" nennt, dann ist das eine Liebeserklärung an die Menschen. Er sagt damit: Ich gebe mich für Euch, wie sich Eltern ihren Kindern geben, wie sich Liebende einander geben. Ich will für Euch so lebensnotwendig sein wie das Brot, das Ihr esst.
Wer dahinter einen ärgerlich hohen Anspruch wittert, der wittert recht. In der Tat: Wer dieses Brot nicht isst, der verhungert! So lautet die Behauptung. Wer leben will, der braucht dieses Brot! So ist der Anspruch. Das mag ärgerlich sein. Nur: Anders geht es nicht. Die Liebe stellt einen hohen Anspruch. Wer liebt, duldet keine Nebenbuhler. Wer das Brot des Lebens zu sein beansprucht, der hat nichts gemein mit "fast food" und süßem Brei.
Der ärgerliche Anspruch Jesu ist der Anspruch dessen, der gesagt hat: "Ich bin der Herr, Dein Gott, Du sollst keine anderen Götter haben neben mir." Der Anspruch Jesu ist der Anspruch Gottes: Du gehörst mir!
Bevor Gott jedoch diesen Anspruch erhebt, spricht er von dem, was er für die getan hat, die er in Anspruch nimmt: "Ich habe Euch aus Ägypten, aus der Sklaverei befreit." Zuerst ist die Rede von der Freiheit, die Gott seinem Volk Israel schenkt. Erst danach spricht er von der eifersüchtigen Liebe, mit der er es für sich in Anspruch nimmt. Der Anspruch Jesu ist der Anspruch Gottes auf den ganzen Menschen, der Anspruch eifersüchtiger Liebe. Der eifersüchtige Liebhaber freilich ist zugleich der, der sich denen schenkt, die er liebt. Bevor er fordert gibt er. Sich selbst als das warme, duftende Brot des Lebens.
Musik-Einspielung:
Gebacken wurde das warme, duftende Brot des Lebens aus dem "Korn, das in die Erde, in den Tod versank". Wenn ein Weizenkorn in die Erde gelegt wird, dann wird es begraben als sei es tot. Doch aus dem Korn wachsen viele Körner. Die Körner werden dann gemahlen. Aus dem Mehl wird würziges, duftendes Brot gebacken.
Jesus spricht von sich selbst als vom Weizenkorn, als vom Brot des Lebens. Für mich bedeutet das: Das Leiden und Sterben Jesu hat ein Ziel, einen Sinn. Er lässt sich begraben, damit aus seinem Grab neues Leben wächst. Er lässt sich zermahlen, damit er zu Brot wird. Er leidet, um dem Leiden ein Ende zu machen. Er stirbt, um die Menschen vom Tod zu befreien. Er will Brot werden, das den Hunger stillt.
Leiden ist - christlich verstanden - kein Selbstzweck. Es geht, auch im Leiden Jesu, nicht um ein Leiden um des Leidens willen. Gott will nicht, dass Menschen leiden. Aber: Leiden kann fruchtbar werden. Wie aus dem Weizenkorn die Ähre wächst, wie aus dem Korn das Mehl gemahlen wird, wie aus dem Mehl das Brot gebacken wird, so kann aus dem Leid etwas Neues erwachsen: Mut zum Leben, ein Blick für das, was dem Leben Sinn gibt.
Jesu Leiden und Tod jedenfalls sind nicht dazu geeignet, den Triumph des Leidens und des Todes zu belegen. Das Weizenkorn treibt Frucht. Das Brot des Lebens wird aus ihm gebacken. Es ist mitten im Leid noch verborgen, aber schon wahr: "In Dir ist Freude in allem Leide."
Tod und Leiden Jesu haben ein Ziel: Aus dem Weizenkorn, das begraben wird, wächst das Brot des Lebens. Jesus selbst will Brot werden, das den Hunger der Menschen stillt.
So wird auch deutlich, was es mit dem Glauben an diesen Jesus auf sich hat: Glaube ist keine fromme Leistung, nichts was wir uns als Verdienst anrechnen könnten. Es ist wie mit dem Essen: Wir haben das Brot, das ich esse, in der Regel nicht gebacken. Das hat der Bäcker für uns getan. Wir greifen zu und lassen es uns schmecken. Doch das ist keine besondere Leistung. An Jesus glauben, das bedeutet: Das Brot des Lebens essen , es sich schmecken lassen. Glauben ist wie essen - eine selbstverständliche Lebensnotwendigkeit. Wer nicht mehr ist, verhungert.
Doch merkwürdigerweise gibt es Menschen, die das Essen verlernt haben. Magersucht nennen die Ärzte diese Krankheit. Der Suppenkaspar aus dem Struwwelpeter ist so ein Magersüchtiger: "Ich esse meine Suppe nicht, nein meine Suppe eß ich nicht!" Die Folge: "Er wog am End ein halbes Lot und war am fünften Tage tot."
Mag sein, dass es auch so etwas gibt wie eine Magersucht des Glaubens. Da schmeckt jemandem das "Brot des Lebens" nicht mehr, er oder sie verzichtet auf diesen Genuss. Die Folge: Der Mensch verhungert. Nicht weil nichts zu beißen da wäre, sondern weil es ihm nicht mehr schmeckt.
Die Aufgabe der Christen - nicht nur der Pfarrerinnen und Pfarrer - ist es, den Menschen Appetit zu machen auf das Brot des Lebens. Wenn es den Leuten nicht mehr schmeckt, dann fragt sich auch Pfarrer Kluck: Was habe ich falsch gemacht? Es ist doch mein Beruf, das Brot des Lebens auszuteilen. Zu meinem Beruf gehört, dieses Brot den Menschen schmackhaft zu machen. Sie haben ja Hunger!
Wie? Sicher nicht durch neue verfeinerte Rezepturen. Das Brot schmeckt ja. Sogar hervorragend. - Schon eher wird Appetit dadurch geweckt, dass wir es uns selbst schmecken lassen. Christen müsste doch anzumerken sein, dass ihnen das Brot des Lebens schmeckt! Sie müssten doch fröhliche Leute sein, an Leib und Seele wohlgenährt.
Frisches Brot duftet! Wenn Pfarrer Michael Kluck morgens in die Bäckerei kommt, um Brötchen zu holen, dann atmet er diesen Duft ein: frischgebackenes Brot, noch warm, gerade aus dem Backofen gezogen. Brot, das schmeckt und nährt. Er atmet diesen Duft ein und freut sich auf das Brötchen oder auf die erste Schnitte Brot.
Wie es ihm morgens in der Bäckerei geht, so könnte es den Menschen in unseren Kirchen und Gemeinden gehen: Dass sie den Duft einatmen von frischem, kräftigem Brot des Lebens. Übrigens: Es schmeckt noch besser als es duftet, meint
Pfarrer Michael Kluck aus Saarbrücken von der Evangelischen Kirche.
Brot duftet
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