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Sterne in den Ruinen von Grosny
Gespannte Aufmerksamkeit in einer Düsseldorfer Grundschule. Gut 100 Kinder hören der pensionierten Lehrerin Barbara Gladysch zu, die von anderen Kindern im fernen
Tschetschenien erzählt und dazu ein Video aus der Hauptstadt Grosny zeigt. Darin fällt der Blick aus einem vorbeifahrenden Auto auf Häuserruinen, zwischen denen Kühe grasen, auf Geröllhalden und Einschusslöcher in Klassenzimmern. O-Ton: Nach dem Ballspiel erzählen die Kinder: Wir leben gern in Grosny. Die Stadt ist kaputt und alles ist sehr schmutzig, aber wir gehen hier zur Schule und zum Kleinen Stern und das macht uns viel Spaß. Die Mädchen wollen Ärztinnen oder Lehrerinnen werden, die Jungen Ingenieure und Architekten.
Autorin: Die Träume der Kinder in Tschetschenien sind nicht viel anders als die ihrer Altergenossen in Deutschland, ihre Alltagswelten dagegen könnten unterschiedlicher nicht sein. Denn in der Kaukasusrepublik herrscht seit zehn Jahren Krieg. Viele Kinder kennen nichts anderes. Sie haben erlebt, wie Familienmitglieder misshandelt und getötet wurden, wie Bomben die Stadt und ihr Zuhause zerfetzt haben.
Barbara Gladysch hat schon 1981 die Mütter für den Frieden in Düsseldorf gegründet und sich später in Bosnien engagiert. In Grosny war sie das erste Mal 1995, auf Einladung russischer Soldatenmütter. Für die engagierte Sonderschulpädagogin war klar: Die Kriegs traumatisierten Kinder von Grosny brauchten Hilfe.
O-Ton Ein Kind habe ich kennen gelernt, ein Mädchen, das hat mit ansehen müssen, wie seine kleine Schwester erschossen wurde, und das Mädchen hatte die Aufgabe, auf die kleine Schwester aufzupassen, die Mutter war im Moment nicht da. Und das Mädchen sah deutlich, dass die Schwester tot war. Sie hat dann die Jacke, die Blut verschmiert war, an sich genommen. Sie hat sie nicht losgelassen. Sie hat mit der Jacke geschlafen, hat sie mitgenommen, wo sie war, und es dauerte wirklich ungefähr ein halbes Jahr, um dem Kind klar zu machen: So jetzt bringen wir die Jacke zum Grab von deiner Schwester, es ist ihre Jacke, du kannst sie jetzt loslassen. Autorin: So gründete Barbara Gladysch die Therapiezentren Kleiner Stern- Little Star Points, allein aus Spenden finanziert. Oft sind es nicht mehr als ein paar renovierte Räume in halb zerstörten Gebäuden. Trotzdem sind sie Zuflucht für viele Kinder. Denn dort können sie spielen, singen, tanzen und vor allem erzählen was sie bewegt.
Wegen ihrer jahrzehntelangen Friedensarbeit und ihrem Mut, immer wieder in Krisengebiete zu reisen, ist die 64-Jährige letzte Woche (29. Juni) für den Friedensnobelpreis nominiert worden, zusammen mit 1000 anderen Frauen aus der ganzen Welt. Keinem von uns ist Gott fern, heißt es im biblischen Monatsspruch für den Juli. Für Babara Gladysch liegt hier der Schlüssel ihres Engagements, auch wenn sie schon vor vielen Jahren aus der Kirche ausgetreten ist.
O-Ton: Ich fühle mich sehr angenommen, sehr geborgen. Ich habe Verantwortung, ich möchte schon Handwerk sein für ihn und ich möchte ihn, Gott, nicht oben oder unten oder rechts oder links sehen, sondern ich finde ihn ich brauche ihn gar nicht zu suchen ich finde ihn im Nächsten. Ich finde ihn in den Kindern unendlich groß und wunderschön.
Autorin: Was Barbara Gladysch motiviert :
O-Ton: Die Wut! Der Zorn. Die Leidenschaft. Auch immer wieder dieser Satz: Das darf doch nicht wahr sein! Und da fange ich nicht an, zu resignieren, zu sagen: Das hat sowieso keinen Sinn. Sondern ich suche dann nach einer Möglichkeit, dagegen zu opponieren, und suche natürlich Verbündete. Und die Empörung die hält jung. Und die gibt Kraft. Und Energie. Ja, das isses.
Kontakt: Barbara Gladysch (Mütter für den Frieden) Geranienweg 5, 40468 Düsseldorf Fax 0211 42 30 131, Tel. 0211 47 91 039 Mail: barbara@gladysch.net
Sterne in den Ruinen von Grosny
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