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Im Heilbad
Johannes erzählt einmal in seinem Evangelium vom Betrieb in einem Heilbad. Bethesda - Haus der Barmherzigkeit wird es genannt.
Wir kennen das: Bäder und Kurorte schmücken sich mit Beinamen, die Gutes versprechen. Still und mild geht es dort zu. Rücksichtsvoll und voller Verstehen füreinander sind die Menschen, die das Gebrechen eint - meinen wir. Haus der Barmherzigkeit - doch geht es da wirklich so barmherzig zu?
Seien wir realistisch. In den fünf Hallen, von denen Johannes berichtet, spiegelt sich seine und unsere Welt: Die Kraft des heilenden Wassers ist begrenzt; die Kassen der Versicherungen sind löchrig. Doch viele sind da, die etwas wollen, die sich etwas erhoffen. Keiner ist nur zum Spaß da oder für die Wellness. Das Leben ist ernst. Da muss man kämpfen und sich durchsetzen, wenn man etwas erreichen will. Da ist jeder sich selbst der Nächste. Auch im Haus der Barmherzigkeit.
Denn all die anderen sind Konkurrenten. Krank, blind, gelähmt, mit Gicht in den Knochen, mit lädierter Seele, krank am Herzen liegen sie da, jeder für sich und jeder schätzt seine Chancen ab. Misst sich am anderen: Der ist ja besser dran als ich, der hat`s ja gar nicht so nötig.. Und die, mit der kann ich allemal mithalten... Und jeder hofft für sich auf Heilung.
Wer es geschafft hat, verschwindet und schaut sich nicht mehr um: Glück gehabt! Glück kann haben, wer raffinierter oder schneller ist als die anderen. Denn nur dann und wann entfacht das Wasser seine wundertätige Kraft, nur dann und wann erscheint die gute Fee und erfüllt dem ersten einen Wunsch. Da muss man schnell zur Stelle sein. Da ist der Krückstock des anderen mein Hindernis. Wer das Schicksal in seine Hand nehmen will, der kann keine Rücksicht nehmen, der darf nur mit sich selbst Erbarmen haben.
Da liegen und lauern sie also alle; allen gemeinsam die Gebrechen, allen gemeinsam der Mangel - und doch ist jeder allein in seiner Hoffnung, jeder hofft für sich, jeder ist einsam. Wer einen hat, der mit ihm ausharrt, der mit ihm Wache hält - vielleicht auch die anderen in der entscheidenden Stunde zurückdrängt und die Bahn für ihn freimacht, der kann von Glück sagen. Bethesda - Haus der Barmherzigkeit ? Der Name entspricht nicht dem, was die Menschen daraus machen. Doch so geht es zu in aller Welt, in unserer Welt: Einer ist dem anderen ein Konkurrent. Einer will auf Kosten des anderen glücklich werden, oder auch nur reich oder satt oder mächtig oder angesehen.
Jeder sucht sich für das Schicksal in eine günstige Position zu schieben. Und dann kommt da urplötzlich einer - Warum? Wieso? wird nicht gesagt - kommt und schaut sich um. Sieht genau hin. Erkennt die, deren Hoffnung müde und grau geworden ist, die Muskeln schlaff und die Sehnen brüchig. Er kommt und sieht und fragt und hört.
Sieht den, den schon lange keiner mehr ansah. Der im Rennen schon längst abgehängt war, der in der Jagd nach dem Glück denkbar weit ins Hintertreffen geraten war: 38 Jahre liegt er schon krank, so weiß man. Doch nach ihm fragt er, dem ewigen Verlierer... Gott sei Dank! Jetzt wird Bethesda Haus der Barmherzigkeit. So kann es werden in unserer Welt.
Im Heilbad
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