Der evangelische Rundfunkbeauftragte beim WDR

02.08.05, 8.56 Uhr, Eko Alberts

Menschen taxieren

Das gehört zum Schönsten im Urlaub: irgendwo in der Fußgängerzone auf der Terrasse sitzen und die Menschen betrachten.

Wie verschieden sie sind! Manche hasten eilig, andere schlendern, grell gekleidet oder geschäftlich unterwegs... Was könnte er sein? Warum schaut sie so ernst? Und schon sind da lachende Kinder, ein Pärchen oder ein würdiger Greis. Menschen betrachten – dann sich selber wieder in den Strom begeben. Jetzt werden die anderen gucken. Das Spiel geht weiter.

Doch es gibt eine Art, Menschen zu betrachten, die eher eine  Begutachtung darstellt. Und dann wird im Gehirn, im Herzen oder wo auch immer wir unsere Verzeichnisse für „Andere Menschen“ führen, eine neue Datei angelegt. Darin wird notiert:  Name, Herkunft, Wichtigkeit, Wert, Brauchbarkeit. und was noch mehr zur Beurteilung eines anderen gehört. Schließlich ein letztes Urteil: Gut oder schlecht; beachten oder abschreiben; ja oder nein.

Unbrauchbar oder nützlich? Sind sie uns nützlich, dann steigt ihr Wert. Haben wir keinen Vorteil durch sie, fällt der Kurs. Könnten sie uns eventuell sogar schaden, schreiben wir sie ab.
Auch der Apostel Paulus wird auf diese Weise begutachtet – und er fällt durch. Er hat zwar in Korinth die christliche Gemeinde gegründet – aber nun zeigt man ihm dort die kalte Schulter. Andere sind inzwischen da, die mehr Eindruck machen, glänzendere Gestalten; sie haben ein anderes Auftreten, beherrschen die Show ganz anders. Paulus ist ihnen nicht spektakulär genug, er ist zu bieder, zu behindert.

Wie reagiert nun ein Mensch, wenn er so abqualifiziert wird?
Wir haben da ein ganzes Repertoire an Möglichkeiten:
Wir können uns mit Gleichgültigkeit panzern: Macht mir doch alles nichts...
Oder uns mit Trotz wappnen: Ich wird´ s euch noch zeigen...!
Wir können auch traurig werden oder in Selbstmitleid verfallen: Keiner liebt mich...

Paulus reagiert anders:
Dass ihr mich beurteilt, sagt er,  das ist mir noch das Geringste... Ich richte und beurteile auch mich selbst nicht.

Mit anderen Worten: Wie ihr oder wie andere mich auch taxieren oder einschätzen, das ist doch sehr relativ. Das kann mich im innersten Wesen nicht antasten. Ihr könnt über mein Auftreten, über mein Leben, mein Tun und Lassen, Dieses und Jenes denken – tut es , wenn ihr es nicht lassen könnt. Aber glaubt nicht, ihr hättet mich damit für immer einsortiert und festgelegt. Glaubt nicht, euer Urteil wäre für mich verbindlich. Ich bewahre mir meine Freiheit. Der Herr ist es, der mich richtet. Darum richtet nicht vor der Zeit!

Jedes letzte, jedes abschließende Urteil ist uns verwehrt. Jedes Urteil, das dem anderen keine andere, bessere Chance lässt, das ihn festschreibt und dann mit ihm fertig ist, steht uns nicht zu.
Wer sind wir denn? Wir können den innersten Kern eines Menschenlebens nicht durchleuchten. Da helfen all unsere Kameras und Scheinwerfer nicht. Auch nicht alle psychologischen Kniffs und ausgeklügelten Tests. Wer wir im innersten Kern sind, das ist unser Lebensgeheimnis. Und das ist allein in Gottes Händen geborgen.


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