Der evangelische Rundfunkbeauftragte beim WDR

04.08.05, 7.50 Uhr, Eko Alberts

Willst du gesund werden?

38 Jahre krank. 38 Jahre auf andere angewiesen. Nicht gehen können. Gebunden an den unbeweglichen Körper.

Kein Gesunder ahnt, was das bedeutet. Nicht dass er nicht denken könnte, fühlen, verstehen. Er kann auch reden, mit Worten für sich einstehen. Ein mündiger Mensch sein. Aber Freunde? Einige, wenige, gar keine.

Jesus sieht ihn, so erzählt das Johannesevangelium. Das ist so wichtig, dass es ausdrücklich bemerkt wird: er sieht ihn. Liegende werden nämlich oft übersehen, Kranke vergessen. 38 Stunden? Gut, da wird telefoniert. 38 Tage? Da gibt es schon mal einen Blumengruß. Aber auch die erstaunte Frage: „Was, noch immer? Ich dachte, der wäre längst wieder...“

38 Wochen, mehr als ein halbes Jahr? Das ist schon ein Dauerzustand: „Ach nein, das kann doch gar nicht sein...“  38 Monate, mehr als drei Jahre? „Sag mal, wo ist die auch noch geblieben? Lebt die denn noch?“ 38 Jahre sind unvorstellbar. Jesus sieht den Menschen, der seit 38 Jahren im Heilbad liegt. Das mit den 38 Jahren haben wohl die anderen erzählt. So einer kann ja auch nicht mehr für sich einstehen. Wer so ewig behindert ist, muss sich das wohl gefallen lassen, dass andere über ihn reden; dass sie auch für ihn reden. Der hat ja diese schlimmen Beine, darum kann er ja auch nicht für sich selbst reden... Vielleicht machen sich dann und wann  ein paar Menschen Gedanken über ihn – wenn es denn noch welche gibt, die etwas von ihm wissen: „Ob der noch Hoffnung hat? Oder ob der nicht manchmal am liebsten die Brocken hinschmeißen möchte? Der muss doch schon ganz abgestumpft sein.. Ist aber auch kein Leben so...“ Nein, gesagt hat dem das natürlich keiner. Tut man doch nicht. Und so direkt fragen, nein, das könnte ja irgendwie auch verletzen. Und überhaupt weiß man nicht, was man damit auslöst.
Wieder erzählt das Johannesevangelium nun etwas, was so normal sein könnte. Als Jesus vom Schicksal des Mannes hört, spricht er ihn direkt an. Er beteiligt sich nicht am „Reden über..“ Er hat ja hingesehen, hat den Menschen angesehen. Und er sieht: der kann denken, fühlen, verstehen, auch reden und mit Worten für sich einstehen.

Ich bin überzeugt: Wenn wir dem Jesus dieser Geschichte auch nur bis hierher folgen könnten, würde unsere Gesellschaft einen großen Schritt der Menschlichkeit tun. Sehen wie er und ansehen, wahrnehmen und ansprechen, als mündig behandeln – das würde so viel zusätzliche Lähmung wegnehmen! Lähmung, die nicht aus dem Handicap kommt, sondern aus dem Behindert- werden des Gehandicapten.

Was Jesus weiter tut? Er fragt den Mann ganz direkt: „Willst du gesund werden?“ Kein Arzt kann heilen, wenn der Kranke nicht will. Nicht, wenn es um den Leib geht – und in der Seele schon gar nicht. So fragt Jesus direkt. Nur so kann Hilfe anfangen. Auch durch uns. Eine Heilung haben wir dabei nicht in der Hand. Aber vielleicht wird eine Freundschaft daraus – oder eine Hilfe gegen Einsamkeit und Abstumpfen. Wie gesund der Kranke wird, mag offen bleiben. Aber wir können seine Lebenslust wecken, wenn wir ihn ansehen und ansprechen. Überall, wo das geschieht, achten und ehren wir die Menschenwürde. Die des Kranken – und unsere eigene auch.

Audiobeitrag Willst du gesund werden?


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