Der evangelische Rundfunkbeauftragte beim WDR

26.11.06, 10.00 Uhr, Pastor Joost Reinke

Hinter den Horizont sehen

Wie heißt es in einem alten Kirchenlied so treffend: Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen. Das ist wohl wahr.

Die Aktualität dieser Aussage haben wir bei der Vorbereitung des heutigen Gottesdienstes leider neu erleben müssen. Mitten hinein in die letzten Absprachen, erreichte mich die Nachricht, dass unser langjähriger Gemeindeleiter, der heute in diesem Gottesdienst die Fürbitten sprechen sollte, plötzlich verstorben ist. Nach einer scheinbaren Routineuntersuchung im Krankenhaus. Einfach so, von jetzt auf gleich. Dabei fühlte er sich gar nicht krank, war als Rentner immer noch mit viel Herzblut in unserer Gemeinde engagiert. Für alle, die ihn kannten, war sein plötzlicher Tod ein Schock. Ein lieber Mensch, ein Vorbild als Christ war gegangen. Wahrscheinlich registrieren wir die Gewalt des Todes erst dann, wenn Katastrophen passieren oder wir direkt betroffen sind. Wenn ich am Sterbebett oder am Sarg eines lieben Menschen stehe. Wenn das Ende unwiderruflich gekommen ist. Wenn scheinbar nichts und niemand mehr helfen kann. Immer wieder macht uns der Tod einen riesengroßen, unbarmherzigen Strich durch unser Leben. In diesen Momenten bedeutet das schöne neue Wohnzimmer nichts mehr, die Urlaubsplanung, ja überhaupt, alle Termine sind mit einem Male unwichtig. Man sitzt da wie betäubt und versucht, seine Gefühle zu sortieren.

Auch wenn ich als Pastor mit dem Thema Tod und Sterben professionell umgehen muss, weil das eben zu meinem Beruf gehört, möchte ich in solchen Augenblicken für einen Moment aus dem Trubel des Lebens aussteigen, die Zeit anhalten. Und doch entdecke ich schmerzlich: Das geht nicht. Denn das Telefon klingelt wieder. Die Kinder kommen aus der Schule. Sie sind mit ihren Freuden und Sorgen beschäftigt. Der Verkehr rauscht weiter durch die Stadt. Diese Welt steht nicht still, nur weil jemand trauern will. Sie dreht sich unablässig weiter und weiter und wir drehen uns zwangsläufig mit. Jeden Tag reißt der Tod Wunden in das Leben von Menschen, Wunden, die Narben hinterlassen. Da ist es nur ein schwacher Trost, wenn man über einer Traueranzeige die Worte liest: Man stirbt nicht, wenn man in den Herzen lieber Menschen weiterlebt.

Es gibt aber auch das andere: sterben als Befreiung vom Leid. Das habe ich vor vier Jahren bei meinem Vater so erlebt, der vom Krebs förmlich aufgefressen und immer dünner und schwächer wurde. Da habe ich den Tod schon als eine Lösung empfunden, keine Erlösung, aber immerhin ein Abschluss von Krankheit, Quälerei und Schwäche. - Was kann man sinnvolles tun angesichts des Todes? Ein erster Therapieansatz, auf den die Bibel uns hinweist, lautet: genau hinschauen. Der alttestamentliche Beter, der über die Vergänglichkeit des Lebens nachdenkt, bittet Gott: „Herr, lehre uns bedenken, wie kurz unser Leben ist, damit wir zur Einsicht kommen“ (Ps. 90, 12). Also genau hinschauen sollen wir und nachdenken über unser Leben. Wie wir es sinnvoll gestalten können. Und anscheinend muss Gott uns dabei helfen, helfen, diesen Blick ins Dunkle zu wagen. Denn das ist nicht einfach. Mir macht die Erkenntnis Mut: wer Gott, das Licht, wer die Quelle des Lebens kennt, der kann leichter ins Dunkle schauen; der vermag dem Tod ins Auge zu blicken.

Der Bibeltext aus dem Buch des Propheten Jesaja zeigt uns etwas von dieser göttlichen Schaffens- und Lebenskraft: V. 16b, 17 und 18a lesen. Dieser Jubel, diese Freude, erscheint uns, angesichts des Todes unglaublich. Das ist stark; ein Hammer wie mein Freund Michael das ausgedrückt hätte. „Ach“, könnte da jemand einwenden, „das ist doch viel zu schön, um wahr zu sein“. Diese gewaltige Vision Gottes vom neuen Himmel und der neuen Erde, einer Schöpfung Gottes, wo nicht länger Tod und Gewalt regieren, sondern der Friede Gottes und das Leben, ein Leben im Überfluss.  In Gottes neuer Schöpfung werden also andere Maßstäbe herrschen. Dann brauchen wir nicht länger beten: Dein Reich komme, dein Wille geschehe… Denn dann wird Gottes Wille geschehen sein und sein Reich wird gekommen sein. In vollkommener Größe und Pracht. Der Himmel, also der Ort, wo Gott wohnt, wird dann die Erde, den Ort, wo die Menschen wohnen, umfassen. Das wird himmlisch sein – wahrhaft göttlich. Alle Not, alle Probleme, Bedrängnisse, Sorgen, alles Leid und der Tod, alle Gewalt und aller Terror sind dann endgültig vorbei. Entsorgt in der Mottenkiste der Geschichte.

So etwa wie man nach bestandenem Examen an die 5 in Mathe, die vielleicht in Klasse 8 auf dem Zeugnis stand, nicht mehr denken wird, so wird es auch im Himmel sein. Wenn das große Ziel erreicht ist, wen interessiert da noch irgendein Zwischenergebnis? Das ist dann nicht mehr wichtig. Abgehakt, überholt, vergessen. Das werden Zeiten sein. Da wird niemand mehr weinen und klagen. „Nun gut, meinetwegen“, sagen Sie jetzt vielleicht, „das mag wohl mal so kommen, aber mir geht es heute schlecht. Heute muss ich weinen und klagen, speziell an diesem Sonntag. Beim Gang über den Friedhof steht mir die Macht des Todes sehr real vor Augen.“

Sehen Sie, das ist wie mit der 5 in Mathematik. Welcher Schüler würde im Moment der Zeugnisübergabe darüber nicht enttäuscht und traurig sein und vielleicht denken: die Schule ist blöd!? Das Leben macht keinen Spaß. Aber dieses eine Zwischenergebnis ist doch nicht das Ganze. Am Ende zählt das nicht mehr; fällt nicht mehr ins Gewicht.

So kann man sich das auch mit Gottes neuer Welt vorstellen. Da ist die große Perspektive, auf die wir zusteuern, das helle Licht am Ende des Tunnels. Darauf sollen wir uns konzentrieren, uns nicht von den dunklen Episoden unseres Alltags gefangen nehmen lassen. Wir werden ermuntert, Gottes neue Perspektive mit zu denken. Teilweise haben wir das Thema Tod und Sterben so in unser Denken integriert, haben die scheinbare Endgültigkeit des Todes so dermaßen verinnerlicht, dass der Tod bei vielen Menschen schon zum Leben dazuzugehören scheint. Wir nehmen das so hin. Gott aber will uns durch sein Wort heute neu ansprechen, will unsere Gedanken auf etwas anderes, auf seine neue Welt ausrichten. Eine Welt, die hinter unserem Horizont liegt.

Gottes Wort sagt uns: Es wird eine neue Zeit kommen, die wird ganz anders sein. Wirklich neu; und das ist nicht nur eine politische Parole von oben. Die Zeit wird grundlegend anders sein. Wie genau es in Gottes neuer Welt aussehen wird, darüber haben sich schon so manche Leute den Kopf zerbrochen. Der Sänger Marius Müller-Westernhagen fragt z.B. in einem seiner Lieder ein wenig spöttisch „ob man denn als Leiche im Himmel von goldenen Tellern isst…“? Andere wollen im Himmel Fußball spielen oder Golf, für wieder andere ist Gottes neue Welt so eine Art himmlisches Schlaraffenland, wo man ohne Ende faulenzen kann. Alles, was man auf der Erde als toll und erstrebenswert ansah, stellt man sich dort 100 Mal größer und besser und toller vor.

Aber, mal ehrlich, sind das nicht zu naive Vorstellungen, die dem Maßstab der Bibel nicht standhalten? So wie ich Gott und sein Wort bisher kennen gelernt habe, wird es im Himmel eher so sein wie in jener alten Geschichte mit den beiden Mönchen. Die guten Freunde hatten miteinander vereinbart: Wer von uns zuerst stirbt, soll dem anderen im Traum erscheinen und ihn darüber informieren, wie es im Himmel sein wird. Der Mönch, der zuerst verstorben war, erschien eines nachts seinen Mitbruder im Traum. Der Träumer war ganz aufgeregt und fragte: Also, ist es dort so ähnlich wie hier bei uns auf der Erde? Die Antwort fiel kurz und knapp aus: Lieber Freund, es ist einmalig schön hier, aber total anders als wir immer dachten.

Total anders als wir immer dachten. Gott lässt uns durch seinen Propheten ausrichten: Das, was ihr heute erlebt, ist nur vorläufig, nicht mehr als ein Auftakt zu einer Symphonie, eine Momentaufnahme aus der Ewigkeit. Der Bibeltext aus Jes. 65 sagt uns dazu folgendes und wird in seiner Aussage durch das neutestamentliche Buch der Offenbarung  unterstützt: In Gottes neuer Welt, im Himmel, wird es kein Unheil, nichts Böses mehr geben. Die Bosheit gehört zur alten Erde. Es wird kein Weinen und Klagen mehr geben, kein Leid und keine Tränen, dafür Jubel und die pure Freude; man wird das Leben genießen bei bester Gesundheit. Die Menschen werden Gottes Hilfe und seinen Segen umfassend erfahren und einer durch und durch positiven Zukunft entgegen gehen. Der Friede Gottes wird sich bis in die Tierwelt hinein auswirken: der Wolf wird neben dem Schaf weiden und es nicht auffressen, der Löwe wird sich, gemeinsam mit den Rindern, von Heu ernähren; wahrlich paradiesische Zustände, die der Prophet hier beschreibt; ein friedliches Zusammenleben aller Geschöpfe in Gottes neuer Welt. Das ist die große Vision vom Reich Gottes.

Natürlich, Sie haben Recht, momentan bleibt das noch eine Sache des Glaubens. Noch stehen wir vor der verschlossenen Tür zur Ewigkeit und können nur mit Hilfe von Gottes Wort einen Blick hinter den Horizont werfen. Ein Landarzt wurde einmal zu einem Sterbenden gerufen und dieser sagte am Ende des Gespräches: Herr Doktor, wir beide wissen, dass ich bald sterben muss. Sie sind doch ein gelehrter Mann, können Sie mir nicht verraten, wie es auf der anderen Seite des Lebens aussehen wird? Der Arzt dachte nach und weil er schon lange bei dem Sterbenden gesessen hatte, hatte sein Hund, der ihn überall hin begleitete, angefangen, draußen vor der Tür zu winseln und an der Tür zu kratzen.

Da sagte der Arzt seinem Patienten: Ich weiß zwar nicht genau wie es auf der anderen Seite aussehen wird, aber eines weiß ich: Jesus Christus wird dort auf sie warten. Hören Sie meinen Hund wie er winselt und an der Tür kratzt? Er weiß nicht wie es in diesem Zimmer aussieht und das ist für ihn auch nicht entscheidend, aber er kratzt an der Tür, weil er eines weiß: mein Herr ist im anderen Raum und zu ihm will ich hin. Amen.

Der nächste Evangelische Hörfunkgottesdienst aus Nordrhein-Westfalen, wird am 25.12.2006 um 10 Uhr bis 11 Uhr vom  WDR 5, aus der Johanneskirche aus Düsseldorf übertragen. Die Predigt hält Präses Nikolaus Schneider.



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