Der evangelische Rundfunkbeauftragte beim WDR

12.11.06, 10.00 Uhr, Pfarrerin Viktoria Keil

Hiob

Der für heute vorgesehene Predigttext steht im Hiobbuch, Kapitel 14, die Verse 1-6: Hiob klagt Gott an:

1. Der Mensch ist von Geburt an schwach und hilflos, sein Leben ist nur kurz, doch voller Unrast.
2. Wie eine Blume blüht er und verwelkt, so wie ein Schatten ist er plötzlich fort.
3. Und trotzdem lässt du ihn nicht aus den Augen, du ziehst ihn vor Gericht, verurteilst ihn!
4. Du musst doch wissen, dass er unrein ist, dass niemals etwas Reines von ihm ausgeht!
5. Im voraus setzt du fest, wie alt er wird, auf Tag und Monat hast du es beschlossen.
Du selbst bestimmst die Grenzen seines Lebens, er kann und darf sie niemals überschreiten.
6 Darum blick weg von ihm, lass ihn in Ruhe, und gönne ihm sein bisschen Lebensfreude!

Liebe Hörerin, lieber Hörer am Radio, liebe Gemeinde!

Hiob klagt Gott an. Er ist sich völlig sicher, dass Gott seine Stimme hört. Er zweifelt keinen Augenblick daran. Gott hört und sieht das Entsetzliche, das unter Menschen möglich ist. Aber warum stoppt er die Verbrechen an der Menschheit nicht?

Überlebende eines Konzentrationslagers berichteten:  in einer Baracke in Auschwitz wurde von den noch verschont gebliebenen Rabbinern Gott der Prozess gemacht. Es kam auch zu einer Urteilsverkündung: Gott wurde wegen seiner unfassbaren Gleichgültigkeit seinem doch auserwählten Volk gegenüber mit sofortiger Wirkung aus ihrer Gemeinschaft ausgestoßen. Nach der Urteilsverkündung war es, so wird erzählt, einen Moment, „als hielte der Kosmos den Atem an.“ Als nichts passierte, soll der Rabbi geseufzt haben: „Kommt, gehen wir beten.“

Die Rabbiner des vergangenen Jahrhunderts standen wie Hiob vor über 2000 Jahren vor der Frage: wie Gott und das oft unfassbare Leiden von unschuldigen Menschen zusammengehört Das Volk Israel kannte einen Gott, der sein Volk durch die Wüste geführt hat, den Weg durch das Schilfmeer eröffnet hat, der sie in die Freiheit führte. Sie kannten einen Gott, von dem wir in der Jahreslosung hören, wie er mit Josua spricht: Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht.

Aber sie erlebten auch immer das andere. Unverhofft und unvermutet bricht Leiden in ein Menschenleben. Hiobs Trauer um seine 10 Kinder ist unendlich. Das Grauen, das die Rabbiner erleiden mussten, unvorstellbar. Meistens müssen wir nicht die volle Portion des Hiobkummers ertragen. Aber die halbe Portion reicht schon, um geknickt bei Hiob zu sitzen: Wenn wir mit unserer ganzen Lebensrichtung in Frage gestellt werden, weil unsere Gesundheit viel zu früh gefährdet ist.

Wir sitzen bei Hiob, weil wir durch Arbeitslosigkeit fremd geworden sind in unserem Alltag oder weil die Partnerschaft zerbricht. Ich treffe viele Menschen, deren Leben vom Abschied, von der Trauer gezeichnet ist, die das Leben zerreißen kann. Sie erleben Tage, wo gewohnte Tätigkeiten ablenken können und irgendwie geht es weiter. Nachts aber will der Schlaf nicht kommen: Schwere Gedanken, erschreckende Träume, die Körper und Seele ganz müde machen. Menschen erleiden schmerzhafte Grenzerfahrungen.

Der Abgrund des Leides kann unübersehbar werden, das Maß des Leidens übervoll. Was dann? Genau an diesem Punkt finden wir Hiob. Sein bisher unbeschwertes Gottesverhältnis ist gestört. Und er reagiert wie einer, in dessen rosaroter Liebesbeziehung sich die ersten Risse zeigen: Die von Erfolg und gegenseitiger Wertschätzung gezeichnete Partnerschaft wird völlig in Frage gestellt. Blick weg von mir, lass mich in Ruhe, fährt er Gott an. Du bist so aufdringlich. Mit jedem neuen Morgen bist du da und auch im Dunkel der Nacht. In der Tat: auch im größten Leid :Gott ist da. Er überlässt uns Menschen nicht uns selbst.

Aber wenn mein Gott nah ist, womit habe ich dann dieses Leid verdient? Mit wem kann man besser darüber reden, als mit seinen Freunden? Hiob redet also mit seinen Freunden: Sie setzen sich zu Hiob und schweigen mit ihm sieben Tage und Nächte. Gute Freunde sind in dieser Situation etwas besonderes. Hiobs Freunde sind gute Freunde und sie fangen an zu reden: Sie wollen helfen, wollen Hiob verstehen helfen. Es ist doch so: wenn wir etwas verstehen, wenn wir einen Sinn erkennen, dann ertragen wir unser Leid auch leichter. Also suchen sie nach einem Sinn für all das Leid. Einer sagt zum Beispiel: Leiden ist eine Strafe. Gott straft Menschen und nicht ohne Grund. Hiob, du trägst selbst die Verantwortung! Du musst etwas falsch gemacht haben. Such mal bei dir nach dem Fehler. Rechtschaffene Leute, die sich an die Gebote Gottes halten und der Gemeinschaft keinen Schaden zufügen, werden von Gott belohnt.

Aber Hiob lässt sich auf diese Argumentation nicht ein. Er beharrt darauf: Ich habe nichts Unrechtes getan! Ich habe die Vernichtung meines Besitzes und den Tod meiner Kinder nicht verursacht. Und ich habe auch keinen Grund dazu gegeben. Das Gespräch mit den Freunden bringt keinen Trost, sondern artet in Streit aus. Im Grunde halten alle Monologe. Sie reden, aber sie reden aneinander vorbei, so lange, bis sie sich auseinander geredet haben. Als die gut gemeinten, aber nicht wirklich hilfreichen Ratschläge nicht ankommen, gehen sie.

Hiob bleibt zurück mit seinen ewig kreisenden Gedanken, die sich immer noch um denselben Punkt drehen: Ich hatte doch mit Gott einen Handel abgeschlossen: Ich halte mich an deine Gebote und du schenkst mir dafür Wohlergehen und Reichtum. Hiob muss begreifen, dass diese Rechnung nicht aufgeht. Es ist nicht so, dass jeder seines Glückes Schmied ist. Mühsam, Schritt für Schritt wird Hiob auf eine neue Sicht der Dinge vorbereitet: Wie wäre es, wenn Leid und Krankheit nicht Strafen für Fehlverhalten sind. Wenn Krankheit keine Prüfung ist, auch nicht als Lebenshilfe wirkt, damit wir Gesundheit noch höher schätzen, wenn sie sich denn wieder herstellen lässt? Wenn ich Leid ertragen muss heißt es eben  nicht, dass Gott mich nicht liebt oder sogar nicht existiert. Gottes Treue zu mir und seine Wirklichkeit hängen nicht an unserem Wohlbefinden, so unbegreiflich das auch auf den ersten Blick ist.

Gott ist anders. Das Bild des Gottes, der nur für unser Wohlergehen zuständig ist, zerbricht nicht nur Hiob. Auch wir müssen damit fertig wird, auch wenn es unser Gerechtigkeitsgefühl belastet: Gott ist keiner, der rechtschaffene Leute belohnt und Sünder mit Krankheit straft. Die Freunde Hiobs sehen Gott als Freund der Frommen, die mit Glück, Ausgeglichenheit und Erfolg belohnt werden. Aber Hiob bleibt dabei: er ist unschuldig und mit kämpferischer Wahrhaftigkeit zertrümmert er dieses Bild eines Gottes, der nur an unseren frommen Leistungen orientiert ist. Mit dem wir so eine Art Geschäft auf Gegenseitigkeit abschließen könnten. Hiob lässt diese Art frommer Geschäftemacherei hinter sich. Quälende Fragen nach Sinn und Unsinn von Leiden interessieren ihn nicht mehr. Jetzt geht es ihm nur noch um die Gegenwart Gottes: Gott, mein Leid wird zu einem Abgrund, den ich nicht überwinden kann, jetzt steh du mir bei.

Anstrengende Gedankenarbeit, die uns das Hiobbuch zumutet. Die so menschliche Frage nach dem Sinn von Leiden erfährt keine Antwort. Zumindest keine, die auf den ersten Blick zufrieden stellt. Gott bleibt bei Hiob. Er verlässt ihn nicht. Er hört sich all die Klagen an, er lässt Hiob ausreden. Er bleibt Hiob zugewandt. Mit jedem Schrei zu Gott versucht sich Hiob ein bisschen mehr auf zu richten; Stück für Stück will er aus seinem Leid wieder auftauchen. Kämpft er um einen neuen Anfang. Mit Gott. Er zweifelt zwar an Gottes Gerechtigkeit, aber nie an seiner Gegenwart.

Hiob stellt die entscheidende Frage: Gott, ich bin so klein, mein Leben so kurz, mein Schmerz so groß. Warum interessierst du dich eigentlich für mich?

Das klingt wie eine verzweifelte Liebeserklärung an Gott: ich habe nichts mehr, ich kann dir nichts mehr bieten, ich bin es nicht mehr wert. Warum interessierst du dich dennoch für mich? Warum bleibst du dennoch bei mir? Und wie jeder gekränkte Liebende (Liebhaber) klagt er und klagt und klagt und will endlich wissen, verstehen, warum diese vorher so wunderbare Liebesgeschichte zwischen ihm und Gott diesen furchtbaren Riss bekommen hat.

Gottes Antwort beginnt mit einer Zurechtweisung. Dahinter verbirgt sich Gottes Liebeserklärung an Hiob: Wo warst du denn, als ich die Erde machte? Wenn du es weißt, dann sage es mir doch! Wer hat das Meer mit Toren abgesperrt, als es hervorbrach aus der Erde? Ich war’s! Hast du je einen Tag heraufbefohlen, der Morgenröte ihren Platz bestimmt? Mit mir dem Mächtigen, willst du dich streiten?
Willst du mich tadeln? Oder gibst du auf?

Ich weiß nicht, mit welchen Antworten Hiob gerechnet hat; aber mit so einer dramatisch-peinlichen Befragung sicher nicht! Aber manchmal brauchen wir dies ja, dass wir erst einmal zusammengestaucht  werden, bevor wir wach werden für neue Gedanken. Hiob hört zu und findet aus seinen selbstquälerischen Gedanken heraus: Denn dahinter verbirgt sich die entlastende, gute Nachricht: Das Leiden im Leben, es kommt nicht von Gott, es liegt im Wesen der Schöpfung, im Kräftespiel der Natur.

Wer Städte in Erdbebengebieten baut, muss damit rechnen, dass sie zerstört werden. Wer Berghänge abholzt, muss damit rechnen, dass Schlammlawinen die Bergdörfer zerstören. Und unser Körper ist anfällig und gefährdet. Das liegt in seiner Natur. Uns ist kein ewiges Leben beschieden. Gottes gewaltige Worte geben auf unsere Sinnfrage eine ernüchternde Antwort: Seit dem Tag, an dem die Schöpfung bestand, gehört das Leid als Teil dazu. Auch wenn es uns immer wieder gelingt, dies so weit wie möglich aus unserem Leben zu verdrängen. Wie der Tod immer schon da ist und so sicher ist wie der Tag der Geburt. Hiob erkennt das endlich. Nur eines bleibt für ihn noch wichtig, dass Gott sein ganzes verzweifeltes Geschrei gehört hat, dass er schon die ganze Zeit bei ihm steht und bei ihm bleibt!

(Hiob 42,5)
Ich hatte von dir nur vom Hörensagen vernommen,
nun aber hat mein Auge dich gesehen.

Hiobs Ermutigung an uns: Ruft Gott herab. Schreit zu ihm hinauf und ruft ihn zu euch. Er, der alles kann, der Schöpfer der Welt, kann eines nicht: seine Ohren und sein Herz verschließen, wenn ein Mensch nach ihm schreit. Gott trägt Hiob aus dem Staub in sein Leben zurück.

Das Hiobbuch schließt wie ein Märchen. „Gott wandte Hiobs Geschick...“ Aus dem Neuanfang entsteht neuer Reichtum. Hiob bekommt dazu noch sieben Söhne und 3 Töchter. Die drei Töchter bekommen wunderbare Namen: Täubchen, Zimtblüte und Salbhörnchen. Die Namen sind Programm: Es gab keine schöneren Frauen im ganzen Land wie die Töchter Hiobs, heißt es da. Hiob starb alt und lebenssatt. Ein Happyend. Der an Leib und Seele geheilte Hiob hat Signalwirkung: Es kann Heilungen gaben. Leiden hat nie das letzte Wort. Auch wenn für uns Krankheit und Leid nicht so märchenhaft enden wie bei Hiob: Die Liebe ist stärker.

So merkwürdig das für uns klingen mag: Hiobs Geschichte mit Gott ist eine Liebesgeschichte. Wie alle Liebesgeschichten fängt sie auf einer rosaroten Wolke an, dann zeigen sich die ersten Risse, man wandert durch ein Tal voll Tränen und endet schließlich in einer reifen Beziehung, die weiß, was man einander wert ist.

Wie eine Muschel ein schmerzhaftes Sandkorn in ihrem Innern beginnt mit Schichten von Kalk zu umschließen, damit der Schmerz aufhört. So wachsen kostbare Perlen. Das Hiobbuch zeigt dieses Wachsen: Schichten von ausgesprochene Zweifeln werden umschlossen von sehnsüchtig erwarteter Nähe zu Gott. Das geschieht nicht von heute auf morgen. Es braucht Zeit, um die Tiefe des Gesprächs mit Gott zu entdecken. Zweifel und Leid sind nicht weggewischt, sie schimmern immer wieder durch. Die Perle, die da in unsere Hand gelegt wird, heißt: Eine neue Stufe der Liebe erleben. (Oder Liebesfähig bleiben und liebesfähig werden.) Diese Liebe schenkt uns einen neuen Horizont, der den Abgrund überwindet. Wie jede Liebe ist sie ein Kind der Freiheit: Gott hat Hiob frei entscheiden lassen. Er ist da, aber er wartet, bis wir ihn sehen können und wollen.

Er ist als sänge Hiob das bekannte Lied von Paul Gerhardt mit:
Kreuz und Elende, das nimmt ein Ende.
Nach Meeresbrausen und Windessausen
leuchtet der Sonne gewünschtes Gesicht.

Mein Haupt und Glieder, die lagen danieder.
Nun aber steh ich, bin munter und fröhlich,
schaue den Himmel mit meinem Gesicht.

Amen

Der nächste Hörfunkgottesdienst wird am 26.11.2006 um 10 Uhr bis 11 Uhr vom 
WDR 5 aus der Christuskirche der Ev. Freikirchlichen Gemeinde Herne übertragen. Die Predigt hält Pastor Joost Reinke.


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