Der evangelische Rundfunkbeauftragte beim WDR

30.11.13; Holger Pyka

Endlichkeit

Das Telefon fällt neben mir auf die Couch. Wie versteinert sitze ich da. Die Stimme meiner Mutter klingt mir noch im Ohr, abgehetzt, gepresst.

„Wir sind im Krankenhaus. Papa ist einfach umgekippt. Besser, wenn du kommst.“

Draußen lärmender Verkehr, in mir drin Totenstille. Dann springe ich auf, laufe drei-, viermal ziellos durch in der Wohnung hin und her, grabsche meine Autoschlüssel, knalle die Tür hinter mir zu und renne die Treppe runter.

Mein Auto steht vor dem Friedhof, ausgerechnet. Scheiße, denke ich. Setze mich ins Auto, meine Hände zittern. Scheiße, rufe ich, und haue mit der Faust aufs Lenkrad. Halte den Atem an. Denke an unser letztes Telefonat. Zwei-drei Minuten, er wollte mir was erzählen, ich hatte keinen Bock zuzuhören, hatte Wichtigeres vor. Mails checken oder Schokolade essen oder die Welt retten oder mein Referat ausdrucken. Was auch immer.

Ich atme aus und lasse mich im Autositz nach hinten fallen. Durch die Frontscheibe sehe ich das Friedhofstor. Darüber steht in altmodischer Schrift: „Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, damit wir klug werden.“ Und durch meinen Kopf schießen all die Dinge, die ich meinem Papa nie gesagt habe, all das, was wir zusammen machen wollten. Meine Augen wandern hoch zum Autodach, darüber der Himmel, von dem ich grade so sehr hoffe, dass er bewohnt ist. „Ist okay“, sage ich leise, „ich bin schon klüger. Jetzt mach, dass wir noch eine Chance bekommen!“ Mit quietschenden Reifen fahre ich los.

Sprecher: Daniel Schneider

 

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