Der evangelische Rundfunkbeauftragte beim WDR

09.02.13; Beate Raguse

Zu viele Menschen auf der Welt

Es ist so eine kleine Bahn mit zwei Waggons. Abends, kurz nach neun, der Zug fährt nur noch jede Stunde. Viele müde Gesichter, Warten auf die Abfahrt.

 Plötzlich steht der Zugführer neben uns. „Wir können auf unbestimmte Zeit nicht weiterfahren. Hinten steht einer auf der Brücke und will springen.“

„Hinten“, das könnte kurz vor der nächsten Station sein. Da kommt der Zug am Landeskrankenhaus vorbei, der Psychiatrie. Vielleicht ist es ein Patient, der da auf der Brücke steht. Ein Lebensmüder, eine, die nicht mehr kann, keinen Ausweg mehr sieht.

Die meisten reagieren kaum. Wer viel mit der Bahn fährt, erlebt das häufiger; „Personenunfall“ heißt es dann in den Ansagen. Nur hinten im Zug stehen vier junge Männer auf. „Fahr doch hin und wirf ihn runter“, ruft einer. „Dann geht es schneller.“ Die anderen lachen. „Es gibt eh zu viele Menschen auf der Welt“, meint ein anderer und guckt mich an. Ich schüttel den Kopf. „Nö, find’ ich nicht.“ Sie steigen aus, stehen auf dem Bahnsteig, rauchen, telefonieren.

Doch es scheint gut gegangen zu sein. Keine zwei Minuten später schließen sich die Türen. Der Zug fährt an. Anders als sonst hat der Zugführer die Reisenden nicht zum Einsteigen aufgefordert. Vielleicht gönnt er den jungen Männern eine kleine Denkpause. Einer von ihnen schaut erstaunt von der Bank auf. Ich winke ihm zum Abschied zu.

Sprecherin: Alexa Christ

Audiobeitrag Zu viele Menschen auf der Welt


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