Der evangelische Rundfunkbeauftragte beim WDR

08.08.12; Pfarrer Michael Nitzke

Selbst denken mit Luther

Wenn heute von Doktorarbeiten geredet wird, fragt man sofort, wer wie viel wo abgeschrieben hat und fordert gleich einen Rücktritt.

Vor 500 Jahren entstand allerdings eine Doktorarbeit, die die Welt bewegte. Im Jahre 1512 wurde ein gewisser Martin Luther zum Doktor der Theologie ernannt. Er sollte eigentlich was Ordentliches werden und hatte auch zunächst Jura studiert. Doch als er bei einer nächtlichen Wanderung in ein schweres Gewitter kam, hatte er Angst um sein Leben und schwor, dass er Mönch würde, wenn Gott ihn hier heil herausholt. Er überlebte und hielt sein Versprechen. So trat er in das strengste Kloster ein, das er weit und breit finden konnte, dann wurde er Priester und schließlich studierte er Theologie. Ja, genau in der Reihenfolge und das war sicher auch schon ein Problem der Zeit. Eigenes Denken war nicht unbedingt gefragt.

Im gleichen Jahr, in dem Luthers Doktorarbeit fertig wurde, begann in Rom ein Konzil. Etwa hundert Bischöfe kamen da unter der Leitung des Papstes zusammen, und einer ihrer wichtigsten Beschlüsse war, dass nur noch Bücher gedruckt werden durften, die von der Kirche erlaubt wurden. Eigenes Denken war also nicht unbedingt gefragt. Das Konzil ging bis 1517. Ein Nebeneffekt war, dass man dem Bischof von Mainz gegen Zahlung von 10.000 Dukaten eine eigentlich unzulässige Ämterhäufung gestattete. Um das Geld zusammen zu bekommen, ermöglicht der seinem Kirchenvolk, sich von den Sünden freizukaufen. „Ablass“ war das Zauberwort und die Lizenz zum Gelddrucken. Dagegen wehrt sich Luther mit 95 Thesen. Der papsttreue Kaiser lässt Luther zum Staatsfeind Nummer eins erklären und Luther nennt den Papst den Antichristen. Europa teilt sich in zwei Lager. Protestanten und Katholiken stehen sich gegenüber.

Erst seit etwa hundert Jahren nähern sich die beiden Seiten etwas an. Von einer wirklichen Einheit der Christenheit sind die Kirchen aber noch weit entfernt. In diese Zeit der vorsichtigen Annäherung fällt nun das Jubiläum der 95 Thesen, die 1517 der Startschuss zur Reformation waren. Zehn Jahre bereitet sich die Evangelische Kirche auf dieses Jubiläum vor. Und in der Halbzeit der Reformationsdekade hat man mit Margot Käßmann eine Frau zur Reformations-Botschafterin ernannt, die sich mit schwierigen Aufgaben auskennt.

Vor 500 Jahren war eigenes Denken nicht unbedingt gefragt. Und genau das ist ihr wesentlicher Anhaltspunkt. „Selbst Denken!“ ist ihr Wahlspruch für die Vorbereitung des Reformationsjubiläums.

Es geht heute nicht darum, alte Wunden aufzureißen, genauso wenig will man eigene Fehler aus der fünfhundertjährigen Geschichte beschönigen. Katrin Göring-Eckardt, bringt auf den Punkt was die Evangelische Kirchen in Deutschland von den Lutherfeierlichkeiten erwartet: "Wir wünschen uns, dass die Menschen wieder neugierig werden auf Gott."

Der eigenständige Denker Martin Luther kann einen da wirklich neugierig machen, zum Beispiel wenn er in seiner Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ schreibt, dass ein Christ „nicht in sich selbst lebt, sondern in Christus und seinem Nächsten.

An Gott glauben und für andere da sein. Luther hat das alles herausbekommen, durch sein eigenständiges Studium der Bibel. Selbst denken, das wird heute immer wichtiger, nicht nur bei Doktorarbeiten, sondern auch in allen anderen Dingen des Lebens.

Audiobeitrag Selbst denken mit Luther


Druckversion

Suche

Sendungen der Woche

Sendungen am Sonntag

Sendungen im Fernsehen