Der evangelische Rundfunkbeauftragte beim WDR

23.04.11, Pfarrer Rüdiger Schnurr

Nun gehören unsre Herzen (eg 93)

Autor: Karsamstag ist heute. In vielen - vor allem katholischen Gegenden - schweigen seit gestern die Kirchenglocken.

Stattdessen ziehen in manchen Dörfern Kinder durch die Straßen und schwingen Holzrätschen oder Klappern. Es ist der Tag, der an die Grabesruhe Jesu erinnert.

Musik / 1. Strophe: Nun gehören unsre Herzen ganz dem Mann von Golgatha, der in bittern Todesschmerzen das Geheimnis Gottes sah, das Geheimnis des Gerichtes über aller Menschen Schuld, das Geheimnis neuen Lichtes aus des Vaters ewger Huld.

Musik / 2. Strophe: Nun in heilgem Stilleschweigen stehen wir auf Golgatha...

Autor: „Nun in heilgem Stilleschweigen.“ Wer aber hält in unserer Zeit noch Stille, gar Schweigen aus? Der Pfarrer Friedrich von Bodelschwingh dichtete 1927 den Choral „Nun gehören unsere Herzen ganz dem Mann von Golgatha“ für den Karfreitagsgottesdienst in der Zionskirche in Bielefeld-Bethel. Stille und Schweigen beschreibt er als die Haltung, die dem Ereignis der Kreuzigung gerecht wird.

Musik / 2. Strophe: Nun in heilgem Stilleschweigen stehen wir auf Golgatha. Tief und tiefer wir uns neigen vor dem Wunder, das geschah, als der Freie ward zum Knechte und der Größte ganz gering, als für Sünder der Gerechte in des Todes Rachen ging.

Autor: Die Veröffentlichung dieses Liedes im Jahre 1938 war ein gewagter Schritt. Es widerspricht in allen seinen Aussagen der damals vorherrschenden Ideologie in Staat und Kirche, Jesus als eine arische Heldengestalt zu verehren. Das taten die Deutschen Christen, die den Gedanken der Nazis verfallen waren. Stattdessen bekennt sich das Lied  zu dem leidenden Jesus. Bodelschwingh stand schon seit vielen Jahren den Betheler Anstalten vor. An Epilepsie leidende Kranke und Menschen mit schwersten Behinderungen wurden und werden auch heute noch dort betreut. Diese Menschen standen "Pastor Fritz", wie er liebevoll genannt wurde, bei seinem Lied vor Augen. Ihr Leben hat durch das Leiden und Sterben Jesu eine eigene, große Würde bekommen. Sie waren kein lebensunwertes Leben. Im Gegenteil: Für sie setzte Bodelschwingh sich ein und bewahrte fast alle vor der Vernichtung durch die Nationalsozialisten. Wer in der Zionskirche in Bethel einen Gottesdienst miterlebt, der spürt, wie sehr dort die Herzen der Gesunden und Kranken gemeinsam für Jesus schlagen.

Musik / 1. Strophe: Nun gehören unsre Herzen ganz dem Mann von Golgatha…

Autor: Das Lied ist ein Bekenntnis gegen den Treueeid auf Adolf Hitler, den 1938 auch die Pfarrer leisten sollten. Konnte das Herz noch ganz und ungeteilt dem Mann von Golgatha gehören, wenn zugleich dem Führer Treue und Gehorsam geschworen wurden? Nur ganz wenige Pfarrer haben diesen Eid verweigert. Scham und Erschrecken darüber sollte uns heute zuallerst in heilsames Schweigen führen, bevor wir ein schnelles Urteil sprechen. Wie hätten wir uns damals wohl verhalten? Wie sieht es mit unserem alltäglichen Versagen aus? Das Lied, in dem von "aller Menschen Schuld" gesprochen wird, nimmt uns mit auf den Hügel Golgatha, wo Jesus gekreuzigt wurde und starb.

Musik / 1. Strophe: Nun gehören unsre Herzen ganz dem Mann von Golgatha, der in bittern Todesschmerzen das Geheimnis Gottes sah, das Geheimnis des Gerichtes über aller Menschen Schuld, das Geheimnis neuen Lichtes aus des Vaters ewger Huld.

Autor: Ein Geheimnis nennt der Dichter die Kreuzigung Jesu auf Golgatha. Denn an diesem Ort der Schande und der Demonstration grausamer und brutaler Macht sah Jesus in seinem eigenen Todeskampf einen tiefen Sinn: Er sah das Geheimnis Gottes. Von einem Geheimnis zu sprechen ist dem Geschehen angemessen. Denn jeder Versuch, den Tod Jesu abschließend zu erklären, hinterlässt mehr Fragen als schlüssige Antworten. Und vor allem birgt jede Erklärung die Gefahr, ein unbeteiligter Zuschauer zu bleiben. Den Tod Jesu aber als ein Geheimnis zu sehen, das weckt unsere Aufmerksamkeit; und wenn es Gottes Geheimnis ist, dann ahnen wir: es ist wichtig für uns. Bodelschwingh beschreibt zwei Seiten von Gottes Geheimnis:

Sprecherin: Das Geheimnis des Gerichtes über aller Menschen Schuld. Das Geheimnis neuen Lichtes aus des Vaters ewger Huld.

Autor: Dieses Geheimnis verstehen wir nur, wenn wir es mit dem Herzen wahrnehmen. Das Herz begreift voller Erstaunen: Über allemVersagen und über alle Schuld hinaus hält Gott uns die Treue. Das Kreuz Jesu steht für das Unfassbare: Für die ungeheuer große Summe an Fehlern und Irrtümern, an gleichgültigem Hinnehmen von Unrecht und unvorstellbaren Grausamkeiten. Darüber ergeht Gottes Gericht. Doch sein Gericht bringt das andere Unfassbare ans Licht: Seine Liebe hält der Welt und seinen Menschen die Treue. Sie steht unbeirrbar fest. Sie stellt sich selbst dem Gericht über unsere Schuld und nimmt das Urteil an. Sie lässt ein neues Licht über uns aufgehen. Ostern leuchtet über den tausend Todesnächten von Golgatha auf.

Musik / 3. Strophe: Doch ob tausend Todesnächte liegen über Golgatha, ob der Hölle Lügenmächte triumphieren fern und nah, dennoch dringt als Überwinder Christus durch des Sterbens Tor; und die sonst des Todes Kinder, führt zum Leben er empor.

Autor: Christus führt zum Leben empor. Noch diesen Tag und die kommende Nacht, dann feiern die Christen ihr größtes Fest: Ostern. Die Auferstehung Jesu. In vielen Gemeinden wird die Freude dieses Tages schon in der Nacht eingefangen. Dann erklingt ein alter christlicher Ruf:

Sprecherin: Die Mitte der Nacht ist der Anfang des Tages. Die Mitte der Not ist der Anfang des Lichts.

Autor: Als Friedrich von Bodelschwingh sein Lied veröffentlichte, da war der Tiefpunkt der Not in Nazi-Deutschland noch längst nicht erreicht. Es sollten noch viele tiefschwarze Nächte kommen, die Hölle sollte mit Krieg und Vernichtung über die Welt hereinbrechen. Wenn sich so etwas wiederholt, was haben wir dem entgegenzusetzen? Worauf hoffen wir? Auf Vernunft? Auf Fortschritt? Zweifel darf sich regen. Zu tief sind wir immer noch in schuldhafte Zusammenhänge verstrickt, nur auf den eigenen Vorteil aus. Es ist wie ein Verhängnis. Die Menschen graben sich immer wieder ihre eigenen Gräber. Doch die Hoffnung stirbt nicht. Das Geheimnis Gottes reicht bis zu uns. Menschen treten ins Licht, verändern sich, vertrauen Gott und trauen auf einmal einander über den Weg. Ängste werden kleiner, Frieden wächst, Schuld wird bekannt und Vergebung erlebt. Warum? Weil dieser Eine ins Grab gelegt wurde und weil er auferstanden ist. Wenn auch aller Menschen Schuld so ungeheuer groß ist, so reicht doch die Liebe Gottes weiter.

Morgen feiern wir das Fest des Lebens, Ostern. Wir dürfen fröhlich singen. Die Leidenden, Traurigen und die im Leben immer zu kurz oder zu spät kommen, dürfen voller Hoffnung lachen. Aber die anderen, die Lauten, die Überheblichen, denen das Schicksal anderer egal ist, die sich immer für die Größten halten, denen wird das Lachen vergehen. Sie werden einmal für immer schweigen.

Musik / 4. Strophe: Schweigen müssen nun die Feinde vor dem Sieg von Golgatha Die begnadigte Gemeinde sagt zu Christi Wegen: Ja! Ja, wir danken deinen Schmerzen; ja, wir preisen deine Treu; ja, wir dienen dir von Herzen; ja, du machst einst alles neu.

Musikinformation:

Text: Friedrich von Bodelschwingh d.J. (1927) 1938 © mundorgel verlag, Köln
Melodie: Richard Lörcher (1946) 1949 Verlag Merseburger, Kassel
Satz:  Paul Ernst Ruppel Verlag Merseburger, Kassel

Ausführende: Gerhard Schnitter & Das Solistenensemble 
CD: Die größten Choräle aus fünf Jahrhunderten 
Verlag: Hänssler Verlag im SCM-Verlag GmbH & Co. KG

Audiobeitrag Nun gehören unsre Herzen (eg 93)


Druckversion

Suche

Sendungen der Woche

Sendungen am Sonntag

Sendungen im Fernsehen