Der evangelische Rundfunkbeauftragte beim WDR

24.08.08, Pfarrer Michael Nitzke

Sterbehilfe in der Diskussion

Niemand von uns lebt für sich selbst und niemand stirbt für sich selbst. (Bibelzitat Röm14,7)

Der Tod kommt scheinbar immer zum falschen Zeitpunkt. Entweder plötzlich durch Unfall oder schwere Krankheit, oder lange befürchtet, aber doch als zu früh empfunden, nach langem Leiden. Guten Morgen liebe Hörerin, lieber Hörer. Mein Name ist Michael Nitzke, ich bin Pfarrer der Evangelischen Philippus-Kirchengemeinde in Dortmund. Doch es gibt Menschen, die den Tod herbeisehnen, aber ihn nicht erlangen können.

Die Rede ist von der aktuellen Diskussion um Sterbehilfe. Da gibt es Menschen, die ihr Leben, so wie sie es erleben müssen, nicht mehr erträglich finden, und es daher beenden wollen. Dabei geht es vor allem um Menschen, die den so gewünschten Tod nicht mehr ohne fremde Hilfe herbeiführen können.

Unsere Gesellschaft ist hier in allen Teilen uneinig, wie man sich in solchen Fällen verhalten soll. Christen fragen gerne nach der Bibel, um Entscheidungshilfe in grundlegenden Fragen zu bekommen. Doch ich finde hier keine Vergleichsfälle, die mir eine Antwort geben. Es wird  in der Bibel zwar von Selbsttötungen berichtet, aber die berühren einen anderen Problemkreis. Ich lese, dass Judas sich mit eigener Hand das Leben nimmt, weil er mit dem Verrat an Jesus von Nazareth nicht mehr klar kommt. Aber das hilft eher bei der Frage nach dem Umgang mit der Selbsttötung aus einer aktuellen Problemsituation heraus. Kirche und Gesellschaft haben lange gebraucht, bis sie den passenden Umgang mit dieser Situation gefunden haben.
Für Judas wurde aus dem Lohn des Verrates ein eigener Begräbnisplatz gekauft, der weit entfernt von den Gräbern der rechtschaffenen Leute lag. Ähnlich ist man bis in die Neuzeit verfahren. Selbstmörder wurden außerhalb des kirchlichen Friedhofs beerdigt.
Heute geht die Gesellschaft anders damit um. Der Versuch einer aktiven Selbsttötung wird jetzt als Hilferuf erfahren. Therapeuten versuchen dem Betroffenen wieder Mut zum Leben zu machen. Und sollte das nicht mehr möglich sein, weil er nun durch eigene Hand tatsächlich aus dem Leben geschieden ist, dann wird er nicht nach dem Tod bestraft, indem ihm die kirchliche Begleitung versagt wird. Früher ist das durchaus geschehen. Heute hat die Kirche erkannt, dass sie auch Verantwortung für Familie und Freunde des Verstorbenen hat. Denn die Leiden unter der Tat und haben es damit schwer genug.

Die heutige Diskussion verläuft anders. Ein Mensch, der schwer krank ist, oder der durch sein Alter große Belastungen verspürt, hat den Wunsch, den Zeitpunkt seines Todes selbst zu bestimmen. Da er durch seine Krankheit sich nicht selbst töten kann, ist er dabei auf die Hilfe anderer angewiesen. Einige betrachten es heute als Akt der Würde, einem Menschen, der sterben will, zu seinem Wunsch zu verhelfen. Christen halten einen Satz aus den zehn Geboten dagegen: „Du sollst nicht töten!“
Sicher liegt es auch daran, dass die ärztliche Kunst so weit fortgeschritten ist, dass Leben so weit verlängert werden kann wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit. Viele kommen erst deshalb in die Situation, dass sie das so verlängerte Leben nicht mehr ertragen können.

Die Bibel kennt zur aktuellen Frage der Sterbehilfe keine Präzedenzfälle. Im Alten Testament steht die bekannte Geschichte von dem alten Vater Isaak, der durch sein Alter schon sehr beeinträchtigt war. Er konnte kaum mehr sehen und auch wohl nicht richtig hören. Aber auf sein Urteil legte man wert. Er war allgemein als Familienoderhaupt akzeptiert. Aber es deuteten sich hier schon die Abgründe in den Herzen der Menschen an, und es wurde deutlich, wozu sie fähig sein können. Mit List und Tücke, täuschte Jakob mit Hilfe seiner Mutter vor, dass er sein eigener Bruder sei, und rang dem alten Vater das Erstgeburtsrecht ab, das Ehre und Erbe versprach. Sie hatten den alten Mann betrogen, aber niemand wäre auf die Idee gekommen, sein Lebensrecht infrage zustellen.
In der heutigen Diskussion geht es auch weniger um die Frage, was andere wollen, sondern was der Betroffene selbst will. Dass es ums Erbe gehen könnte, wenn die nachfolgende Generation über das Leben der Eltern entscheiden könnte, ist allseits bekannt. Da hat sich die Welt seit Jakob und Esau nicht viel geändert.
Die  Diskussion um die Sterbehilfe suggeriert heute vielen Menschen, dass ihr Leben nicht mehr zumutbar sei, wenn die körperlichen oder geistigen Funktionen stark nachlassen.
Wenn ein Mensch selbst entscheidet, sein Leben zu beenden, muss man es wohl respektieren.
Doch die moderne Medizin hat auch Möglichkeiten geschaffen, das Leiden erträglich zu machen. Durch die Palliativmedizin werden Schmerzen gelindert und die Lebensqualität eines Sterbenden aufrecht erhalten.  Das ist eine echte Alternative zur Sterbehilfe.

Musik: CD: enya, a day without rain, LC 4281
Track 1: a day without rain (Instrumental)

Autor: Sterbehilfe- auch das ein Thema, wenn über das Altern geredet wird. Und es wird deshalb so intensiv darüber gesprochen, weil eigentlich immer das Handeln eines anderen gefragt ist, wenn ein Schwerstkranker sein Leben beenden will. Denn selbst hätte er nicht mehr die Möglichkeit dazu, sich die nötigen Hilfsmittel zu verschaffen und anzuwenden.
In Deutschland schien die Rechtslage hier klar zu sein. Wenn jemand dem Wunsch eines Kranken nachkam, der ihn bat sein Leben zu beenden, dann handelte es sich um „Tötung auf Verlangen“, und das war strafbar.
Roger Kusch, ein ehemaliger Politiker provoziert nun damit, indem er eine geleistete Sterbehilfe als „Beihilfe zur Selbsttötung“ beschreibt. Eine solche ist nicht strafbar. Und zwar deshalb, weil der Begriff der „Beihilfe“ abhängig ist von einer strafbaren Tat. Gibt es keine Straftat, gibt es auch keine Beihilfe dazu. In früheren Jahrhunderten war „Selbstmord“, wie es damals genannt wurde, durchaus eine schwerwiegende Straftat. Aber das würde einschließen, dass nicht nur die Beihilfe sondern auch der Versuch dazu strafbar wäre. Doch davon hat der Gesetzgeber mit der Zeit abgesehen, um einen überlebenden Lebensmüden nicht noch mehr zu belasten.
Bei der „Beihilfe zur Selbsttötung“ handelt es sich also nicht um eine erlaubte Handlung, sondern um etwas, das nicht ausdrücklich verboten ist. Daher ist sie auch nur schwer von „Tötung auf Verlangen“ und „unterlassener Hilfeleistung“ zu unterscheiden. Aufgrund dieser Tatbestände führt nun auch die Staatsanwaltschaft Hamburg Ermittlungen gegen den Mann durch, der immerhin einmal Justizsenator seiner Stadt war.

Derweil überlegen die gesetzgebenden Institutionen, die Sterbehilfe ausdrücklich zu verbieten, sofern sie kommerziell geschieht, man damit also Geld verdienen kann. Das scheint ein gesellschaftlicher Konsens zu ein: niemand soll Geschäfte mit dem Tod anderer Menschen machen können. Und von kirchlicher Seite wird das Vorhaben daher auch als wichtiges Symbol begrüßt. Aber ich stelle mir die Frage, ob ein Symbol ausreicht. Befürworter der Sterbehilfe könnten solch ein Gesetz umgehen, wenn sie sich auf breiter Basis ehrenamtlich organisieren, ohne Geld zu verlangen. Es mag allerdings sein, dass sich eine größere Übereinstimmung im Staat in dieser Frage nicht erzielen lassen wird. Doch aus christlicher Sicht kann ich es nicht dulden, dass jemand etwas zur Beendigung des Lebens eines andern Menschen beiträgt, selbst wenn es nicht um einen materiellen Vorteil geht.

Musik: CD: enya, a day without rain, LC 4281
Track 8: silver inches (Instrumental)

Sprecher (Bibelzitat Röm14,7): Niemand von uns lebt für sich selbst und niemand stirbt für sich selbst.

Autor: Das, was der Apostel Paulus schreibt bedeutet, dass weder mein Leben als solches, noch die Beendigung dieses Lebens ohne Bezug zu anderen steht. Nach diesem Verständnis ist es nicht meine eigene Sache, ob ich mein Leben beende oder beenden lasse.
Das Leben wird christlich verstanden als eine Gabe Gottes. Heute sagt man auch gern, es sei ein Geschenk Gottes. Doch Geschenke bleiben manchmal verstaubt in der Ecke liegen. Kaufhäuser werben mit dem Umtauschrecht für Geschenke, die nicht gefallen. Auktionshäuser im Internet, ermutigen Menschen ihre Geschenke zu verkaufen. So ist der Schenkende wenigstens nicht enttäuscht, denn man muss ihn nicht nach dem Bon fragen, den man ja im Kaufhauser beim Umtausch braucht.
Ein Geschenk ist nach heutiger Auffassung ein variables Gut, dass ich nach Belieben benutzen oder auch zurückweisen kann. Der Begriff „Gabe“ eröffnet mir andere Einblicke. Ich glaube, dass Gottes Gaben auch Aufgaben sind. Aufgaben, derer ich mich nicht einfach entledigen kann, sondern Aufgaben, die es zu lösen gilt.

Sprecher (Bibelzitat Röm14,8): Wenn wir leben, leben wir für den Herrn, und wenn wir sterben, sterben wir für den Herrn. Wir gehören dem Herrn im Leben und im Tod.

Autor: Für mich bedeutet dieses Wort aus dem Römerbrief: Wer sein Leben als Gabe Gottes begreift, der sollte auch versuchen, die Aufgabe zu leben, im Sinne Gottes zu bewältigen.
Nun bringt dieses Leben auch Leid mit sich. Das Leid am Ende des Lebens kann besonders schlimm sein. Eine kaum zu bewältigende Aufgabe, so scheint es. Ob ich diese Aufgabe erfolgreich erledigt habe, ist nicht meine Entscheidung. Das ist Gottes Sache! Doch, ich glaube, er wird sicherlich gnädig zu Menschen sein, die an dieser Aufgabe gescheitert sind.
Aber wenn ich in einem Gemeinwesen die Aufgabe habe, an Rechtsordnungen mitzuarbeiten, dann muss ich mir Gedanken machen, was der richtige Weg ist. Und in einer Demokratie kann ich mich dieser Verantwortung nicht entziehen.
Menschen mit unterschiedlichen Voraussetzungen werden hier unterschiedlich entscheiden.
Ich entscheide als Christ. Ich glaube, dass ich mein Leben von Gott empfangen habe. Und ich glaube, dass Gott mich liebt. Deshalb möchte ich die Beendigung meines Lebens nicht anderen Menschen überlassen.

Sprecher (Bibelzitat Röm14,8b-9): Wir gehören dem Herrn im Leben und im Tod. Denn Christus ist gestorben und wieder lebendig geworden, um Herr zu sein über alle, Tote wie Lebende.

Autor:  Als Christ habe ich eine Perspektive, die weiter blickt als das, was ich mit meinen Augen sehe. Leben ist für Christen mehr als die Zeitspanne zwischen Geburt und Tod.
Doch durch den Blick zum Jenseits soll nicht die Möglichkeit eröffnet werden, Menschen zu einem gnädigen Tod zu verhelfen, damit sie die das ewige Leben früher genießen können. Damit ist zu allen Zeiten immer wieder Missbrauch getrieben worden.  Im Glauben an Jesus Christus sehen wir gerade, dass es nicht nur um die Freude auf ein sorgenfreies Leben im Jenseits geht, sondern dass es auch und gerade um das Ertragen von Leiden im Diesseits geht.

Jesus Christus hat einen viel zu frühen und dazu noch gewaltsamen Tod erlitten. Dies geschah auch, um damit zu zeigen: der Mensch ist mit seinem Leiden nicht allein. Auch Jesus hat gefühlt wie ein Mensch! Als er den Tod vor Augen hatte, wollte er ihm entrinnen. Er betete zu Gott: „Lass den Kelch an mir vorüber gehen!“ Aber trotzdem ist er vor dem Leiden nicht geflohen. Heute würde mancher lieber einen Kelch trinken, der das Leiden durch den Tod beendet.  Doch als Christ wünsche ich mir den Mut Jesu, der auch schwere Situationen durchgestanden hat, und nicht vor Schmerzen geflohen ist.

Den Mut, Leiden auszuhalten wünsche ich mir auch für den Umgang mit meinen Mitmenschen. Es ist schwer, Leid und Sterben als Bestandteil des Lebens anzunehmen. Aber wenn mir das gelungen ist, dann kann ich auch Menschen beim Sterben so begleiten, dass ich ihnen beistehe. Dadurch gelingt es mir, das Leiden nicht aus meinem eigenen Leben auszublenden, und das macht mir Mut zum leben.
Was Paulus gesagt hat, gilt für Lebende und Sterbende. Es gilt für Kranke und Gesunde:

Sprecher (Bibelzitat Röm14,7-9):  Niemand von uns lebt für sich selbst und niemand stirbt für sich selbst. Wenn wir leben, leben wir für den Herrn, und wenn wir sterben, sterben wir für den Herrn. Wir gehören dem Herrn im Leben und im Tod. Denn Christus ist gestorben und wieder lebendig geworden, um Herr zu sein über alle, Tote wie Lebende.

Autor: Es grüßt Sie: Pfarrer Michael Nitzke von der Evangelischen Kirche.

Musik: CD: enya, a day without rain, LC 4281
Track 11: The first of autumn  (Instrumental)

Audiobeitrag Sterbehilfe in der Diskussion


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