Der evangelische Rundfunkbeauftragte beim WDR

22.07.07, 8.05 Uhr, Pfarrer Michael Nitzke

"Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren"

Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass dir’s wohlgehe und du lange lebest auf Erden. Autor„ Dieses Gebot ist doch wohl der Hauptgrund, liebe Eltern,

dass Sie Ihre Kinder in den Konfirmandenunterricht schicken!“ Mit diesem Satz habe ich beim ersten Elternabend die Lacher auf meiner Seite. Guten Morgen liebe Hörerin, lieber Hörer! Mein Name ist Michael Nitzke, ich bin Pfarrer der Evangelischen Philippus-Kirchengemeinde in Dortmund. Die zehn Gebote gehören zum täglichen Brot der Gemeindearbeit. Die Eltern der Konfirmanden lachen nicht deshalb, weil sie meinen die Gebote wären veraltet. Im Gegenteil, sie fühlen sich vielleicht auf humorvolle Weise ertappt. Sie wünschen sich natürlich dass ihre Kinder sie ehren, dass sie ihnen die Liebe zurück geben, die sie ihren Kindern geschenkt haben.

Aber die zehn Gebote ersetzen nicht den erhobenen Zeigefinger vergangener Tage. Diese alte religiöse Rechtsordnung will entdeckt werden und mit Leben gefüllt werden.
Und so lernen die Kinder im Unterricht auch, dass es beim Gebot der Elternliebe gar nicht einfach darum geht, dass Kinder immer brav und artig sein sollen. Sie erfahren, dass es in diesem Gebot vor allem darauf ankommt, dass erwachsene Kinder für ihre alten Eltern da sind.

Eine Gesellschaft braucht solche klare Spielregeln, um bestehen zu können. Das war auch in biblischen Zeiten schon so. Durch das Befolgen dieses Gebotes ist es den Menschen im alten Israel gelungen, einen tragfähigen Staat zu bilden. Wenn sich die Generationen in solch einer Gemeinschaft zerstreiten, besteht die Gefahr, dass das ganze Staatsgefüge zerbricht. Aber wenn sie zusammenhalten, dann ist jeder für den anderen da.

Im Gebot heißt es, wenn ich meine eigenen Eltern liebe, dann wird’s mir gut gehen, und ich werde lange leben. Dahinter steckt eine schlichte Erwartung: Ein Kind kann später dieselben  Leistungen von eigenen Kin-dern erwarten, die es selbst seinen Eltern gegenüber erbracht hat. Die Leistungen der einen Generation an die vorherige, werden durch die Leistungen der nachfolgenden wieder ausgeglichen.

Die Zeiten waren schwierig, und so musste man viele Kinder haben, um dieses Ziel zu erreichen. Ei-nes davon war hoffentlich in der Lage, die Eltern mit durchzufüttern, wenn sie alt wurden. So hatte man schon damals einen Generationenvertrag. Der Begriff „Generationenvertrag“ ist heutzutage das Stichwort für die Rentenproblematik. Manche gehen so weit und sagen, die junge Generation hätte diesen Vertrag gekündigt. Das Gebot der Elternliebe gibt nicht immer nur Anlass zum Schmunzeln. Immerhin scheint es um Geld zu gehen, und dabei hört für die meisten Zeitgenossen der Spaß auf. Dabei sollte es bei den Geboten Gottes doch um den Menschen als Gottes Geschöpf gehen. Doch manchmal habe ich den Eindruck, dass Kinder damals wie heu-te nur Mittel zum Zweck sind, um das Überleben zu sichern

Musik: Joscho Stephan , CD: Acoustic Live, LC 07103
Track: 4 Exactly like you

Im alten Israel war Kinderlosigkeit sicher ein un-übliches Lebensmodell. In Deutschland leben wir heute in einer Gesellschaft, in der längst nicht mehr jeder Mensch erwachsene Kinder hat. Das bib-lische Gebot „Du sollst Vater und Mutter ehren“ müsste man heute vielleicht so gar umkehren:

O-Ton:  U. von der Leyen 24.5.2007 Bundestag:  „Wer Kinder erzieht, (…) verdient unseren Respekt und unsere Anerkennung, und zwar alle Eltern. (Beifall)“

Autor: sagte Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen Ende Mai im Deutschen Bundestag. Die Generationen-Problematik ist auch in unserem Staat in der Diskussion. Und manchmal hat man den Eindruck es gehe nur noch ums Kinderkriegen. Viele fragen sich, was ist mit den Alten? Stehen jetzt nur noch die Kinder im Mittelpunkt? Im Gebot der Elternliebe heißt es doch: „damit es dir wohl ergehe und du lange lebest auf Erden“.

O-Ton : U.v.d. Leyen 17.01.2007 MORGENMAGAZIN:  „Dadurch, dass wir länger leben haben wir auch gewonnene Lebensjahre, das heißt die Menschen sind zwar noch nie so viele Alte gewesen, aber sie wa-ren auch noch nie so gesund wie in dieser Zeit, und noch nie so gut ausgebildet wie in dieser Zeit. Das Entscheidende ist, dass wir Strukturen schaffen, dass man diese gewonnenen Jahre dann auch für einander nutzt.“

Autor: Die Alten sind in unserer Gesellschaft also doch nicht vergessen. Man muss ihre Fähigkeiten entde-cken und einsetzen und gleichzeitig, muss in die Bildung der Kinder investiert werden. Dabei stellt sich die Familienministerin eine Vielfalt von Möglichkeiten der Lebensplanung vor. Für die Förderung spielt es für sie keine Rolle,

O-Ton: U. von der Leyen 24.5.2007 Bundestag: „ob es Mütter zu Hause oder Tagesmutter, Vater zu hause oder Familienbildung, Mehrgenerationenhaus oder Kita ist.“

Autor: Bei dieser Aufzählung der verschiedenen Erzie-hungsmodelle habe  ich bei einem Stichwort besonders aufgehorcht. Was ist eigentlich ein „Mehrgenerationenhaus“? Ist das nicht das alte Modell, vom Leben unter einem Dach, das es schon in der Bibel gab?“ Das denkt man gerne, weil es so schön ins Bild von der heilen Welt passt, doch:

Sprecher: „die Drei-Generationen-Familie ist ein modernes Phänomen. Historische Erfahrungen mit ihr fehlen. Daher fällt es uns auch so schwer, mit der Alterung umzugehen. Pflegebedürftige Urgroßeltern wa-ren fast in der gesamten Menschheitsgeschichte un-bekannt. Selbst Drei-Generationen-Familien gibt es noch nicht lange. In der Bibel geht es zwar um lange Zeiträume, Stammbäume über zig Generationen spielen eine große Rolle, Enkel-Großeltern-Geschichten kommen aber nicht vor.“

Autor: Das schreibt Professor Gert Wagner, Vorsitzender der Sozialkammer der Evangelischen Kirche in Deutschland. Drei Generationen unter einem Dach, gab es nur selten und meist nur in gut betuchten Familien der Neuzeit. Was steckt also hinter dem Begriff Mehrgenerationenhaus, den die Ministerin von der Leyen benutzt?

O-Ton: U.v.d. Leyen 17.01.2007 MORGENMAGAZIN: „Also es ist nicht so, dass alle unter einem Dach wohnen, sondern, dass wir gesagt haben wir haben heute ’ne Krabbelgruppe, ein Mütterzentrum, ein Jugendtreff, eine Altenbegegnungsstätte, alles ge-trennt von einander. Dies lass uns doch unter einem Dach zusammenfassen als Mehrgenerationenhaus. So dass die Menschen tagsüber untereinander auch genau diese Dinge organisieren können. (…) das ist das entscheidende für eine Gesellschaft im demographischen Wandel, dass wir lernen Beziehungen mit einander aufzunehmen, zwischenmenschlich miteinander gut umzugehen, ohne miteinander verwandt zu sein.“

Autor: Genau das ist das neue an der Idee der Mehrgenerationenhäuser.

Musik: Joscho Stephan, CD: Acoustic Live, LC 07103
Track: 14 The World is waiting for the Sunrise

Autor: Das Ideal der Großfamilie, ist heute nur noch ein schönes Bild, an das man sich gern erinnert, ein Ideal, das es vielleicht so nie wirklich gab. Aber auch wenn früher nicht immer alle unter einem Dach lebten, es bestand der Generationenvertrag. Er wurde durch das Gebot der Elternliebe vermittelt und ermöglichte Zusammenhalt. Erst das moderne Rentensystem hat dafür gesorgt, dass ein neuer Generationenvertrag geschlossen wurde. Aber es gab einen feinen Unterschied:  man sorgte nun nicht mehr mit den Händen für einander, sondern, man zahlte für einander. Und das soll sich jetzt ändern. Man soll trotzdem etwas für den anderen geben, aber weder Mark und Pfennig noch Euro oder Cent! Was aber dann?

O-Ton: U.v.d. Leyen 17.01.2007 MORGENMAGAZIN: „dass die Währung, will ich mal so sagen, dass die entscheidende Währung, die man haben muss, wird nicht unbedingt nur Geld sein, es wird vor allem auch zwischenmenschliche Beziehung sein. Wenn es mehr Menschen gibt, die keine Kinder haben, zum Beispiel, wenn es mehr Menschen gibt, die kleine Familien haben, die über die Welt verstreut leben, dann werden wir heute dafür sorgen müssen, dass wir den Generationenzusammenhalt, also das miteinander Leben, besser entwickeln, auch ohne dass man miteinander verwandt ist.

Autor: Der Staat setzt sich also dafür ein, dass Menschen für einander sorgen, auch wenn Sie nicht aus einer Familie kommen. Mancher fragt sich, ob das so funktioniert. In der Bibel heißt es schon:

Sprecher: „Der Alten Krone sind die Kindeskinder und der Kinder Ehre sind ihre Väter.“ (Spr 17,6)

Autor: Doch auch in der Bibel ging nicht alles nur über die Blutsverwandtschaft, in den Fünf Büchern Mose, in denen das Gebot der Elternliebe steht finden wir auch ein Gebot wie dieses:

Sprecher: „Vor einem grauen Haupt sollst du aufstehen und die Alten ehren und sollst dich fürchten vor dei-nem Gott“ (3. Mose 19,32)

Autor: Am respektvollen Zusammenleben, ohne, dass man miteinander verwandt ist, will also die Bibel nicht hindern. In Deutschland sollen 500 Mehrgenerationenhäuser entstehen. Das können bestehende Einrichtungen sein, die ihr Angebot sinngemäß ausweiten. Und Geld ist dann doch wieder im Spiel, denn 40.000 Euro gibt der Staat fünf Jahre lang für jedes Mehrgenerationenhaus. In jedem Landkreis und jeder kreisfreien Stadt, soll solch eine Einrichtung entstehen. Mehr als 200 gibt es davon schon. Die Evangelische Kirche ist in Nordrhein-Westfalen durch die Diakonischen Werke unter anderem in Neuss und Lübbecke mit am Start.

Ziel der Ministerin „ist es, Mehrgenerationenhäu-ser als Drehscheiben für Dienstleistungen zu etablieren, die Menschen verschiedenen Alters wirklich brauchen: angefangen vom Wäscheservice oder dem Computerkurs für Internetbanking über die Leih-Oma bis hin zum Mittagstisch für Schulkinder und die Krabbelgruppe. … Darüber hinaus soll ein Mehrgenerationenhaus mit örtlichen Unternehmen zusammenar-beiten: Es verkauft seine Dienstleistungen an kleine und mittelständische Betriebe, aber auch an große Firmen.“ Das hört sich zunächst so an, als geht wieder al-les nur ums Geld, aber hier geht es um eine ganz-besondere Wirtschaft.

O-Ton: U.v.d. Leyen 17.01.2007 MORGENMAGAZIN: „Es gibt dieses Wort inzwischen, was ich für ganz wichtig halte, das spricht von der silbernen Wirtschaft, die jetzt entwickelt werden muss,“

Autor: Wenn ich dass so höre, dann habe ich Angst, dass  da nur die „jungen Alten“ im Blick sind. Doch „silberne Wirtschaft“, das heißt sicher nicht, dass es nur darum geht, etwas zu versilbern, also zu Geld zu machen. Der Begriff „Silberne Wirtschaft“ drückt aus, dass Menschen mit silb-rig-grauen Haaren, also ältere Menschen, einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor darstellen. Den muss man erkennen, nicht um ihn auszubeuten, sondern um ihn für die Gesellschaft fruchtbar zu machen.

Es kommt also darauf an, zu entdecken, dass das Alter nicht nur Probleme schafft. Die Chancen des Alters gilt es zu entwickeln, damit man sich nicht von der Angst vor dem demographischen Wandel lähmen lässt. Unsere Gesellschaft leidet aber auch daran, dass viele Menschen so krank sind, dass sie selbst aktiv gar nicht mehr am Wirtschaftsleben teilnehmen können. Was ist mit denen?

Bei der Eröffnung des ersten Mehrgenerationenhauses in Salzgitter wurde schon gezeigt, dass es nicht nur um leistungsfähige Jungrentner geht. Hier bringt man beispielsweise alte Menschen, die zum Teil schon dement sind, mit kleinen Kindern zusammen, die kaum 3 Jahre alt sind.

Gemeinsam bereiten sie eine Gemüsesuppe vor. Die Kleinen lernen dabei spielerisch das von den Alten, was sie noch können, zum Beispiel Möhren schneiden und Gemüse putzen. Das ist es, was die Mitarbeiter des Mehrgenerationenhauses unter generationsübergreifendem Arbeiten verstehen. Es kommt ihnen darauf an, dass alle Menschen profitieren. Wenn alle etwas davon haben, dann klingt das fast so wie in der Bibel: „auf dass dir’s wohlgehe und du lange lebest auf Erden.“ Ja, auch ein göttliches Gebot, kann auf Gegenseitigkeit beruhen. Entscheidend ist, dass wir das nicht vergessen. Wir dürfen es auch nicht nur den Politikern, oder den Wohlfahrtsverbänden überlassen.
Wichtig ist, dass wir das göttliche Gebot selbst mit Leben füllen:

Sprecher „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass dir’s wohlgehe und du lange lebest auf Erden.“

Autor: Aus Dortmund grüßt Sie: Pfarrer Michael Nitzke von der Evangelischen Kirche.

Musik: Joscho Stephan, CD: Acoustic Live, LC 07103
Track: 9 West Coast Blues

 


 

 

Audiobeitrag "Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren"


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